Tod und Töttchen - Westfalen-Krimi
wieder das war, was sie einmal gewesen war: eine
ehemalige Zahnarztpraxis. Einzige Leidtragende war diese nette russische
Aushilfskraft. Ich ließ mich in einen Sessel fallen, schaltete die Glotze ein
und sah mir noch einmal den SEK -Einsatz im
Auenviertel an, der mit der Festnahme des »Bombers von Gievenbeck« geendet
hatte. Mittlerweile hatte sich herausgestellt, dass das, was die Einsatzkräfte
für den Auslöser einer Bombe gehalten hatten, eine Universalfernbedienung
gewesen war, die nicht einmal Batterien enthielt. Außerdem hatte man größere
Mengen Spekulatius sichergestellt, was die Behörden dazu bewogen hatte, vorerst
dringend vor dem Verzehr von Spekulatius zu warnen.
Mit einem Fluch kämpfte ich mich aus dem Sessel und stellte die
Bierflasche ungeöffnet in den Kühlschrank zurück. Ich schaltete den Fernseher
aus, zog Mantel und Handschuhe an und rannte in den Keller hinunter, um
Aristides’ Fahrradersatz flottzumachen. Dann radelte ich, so gut es eben ging,
in Richtung Geistviertel.
Nie würde sich etwas ändern. So weit ich zurückdenken konnte, es
waren ständig Situationen wie diese gewesen. Situationen, in denen ich mein
Bier zurückgestellt und meinen Feierabend geopfert hatte, nur um meinem
damaligen Partner aus irgendeinem Schlamassel zu helfen. Immer hatte ich mir
vorgenommen, ihm zu sagen, dass dies das letzte Mal sei, aber er war mir stets
zuvorgekommen, indem er sich verbeten hatte, von mir jemals wieder umsorgt zu werden
wie ein Kind, das nicht selbst auf sich aufpassen könne. Das war der Grund,
weshalb es beruflich nie mit uns geklappt hatte.
Es war gegen halb neun, als ich das Rad in den winzigen Vorgarten
des Reihenhauses fallen ließ. Gorbitsch öffnete auf mein Klingeln die Tür und
verzog sich ohne ein Wort wieder ins Wohnzimmer. Ich folgte ihm und lauschte.
Es war still. Niemand telefonierte.
»Du hast mich verarscht«, sagte ich.
»Hab ich nicht.«
»Aber sie telefoniert doch gar nicht. Was hast du mir da vorhin
erzählt?«
Gorbitsch würdigte mich keiner Antwort. Er hielt eine Zigarette in
der rechten und ein Feuerzeug in der linken Hand, rauchte aber nicht. Vor über
drei Jahren hatte er damit aufgehört.
»Und jetzt?«, fragte ich nach einer Weile. »Sitzen wir herum und starren
weiter die Wand an?«
»Musst du ja nicht, Ole. Ich hab dich nicht eingeladen.«
Mir reichte es.
Ich ging in den Flur und nahm das Schlüsselbrett in Augenschein.
Schnappte mir den größten, einen Zündschlüssel, den man per Funk aktivieren
konnte. »Ich wusste gar nicht, dass Oldtimer auch so was haben«, sagte ich,
trat vor die Tür und probierte das Ding aus. Das Auto antwortete mit einem
Blinken der Rücklichter.
»He, was soll das?« Gorbitsch kam erst nach draußen, als ich schon
am Steuer saß. »Steig sofort aus der Karre aus!«
»Nein, du steigst ein, und zwar auf dem Beifahrersitz. Aber erst
holst du dir deinen Mantel.«
Der Motor röhrte leise, als ich Gas gab. Ein Traum war dieser
Schlitten, er fuhr sich fast von allein, während Gorbitsch als Beifahrer schwitzte
und seine Fingernägel sich ins Armaturenbrett gruben. Ich steuerte den Wagen in
Richtung Hauptbahnhof, hielt aber nicht am Bremer Platz, sondern nahm Kurs auf
das Ostviertel und St. Mauritz. Fernab vom Weihnachtsgeschäft, dorthin, wo
der Schnee weißer als sonst wo war und weihnachtliche Gesinnung nicht nur leere
Worte waren, sondern sich in einem Austausch zeigten, der aus Geben und Nehmen
bestand.
»Nett«, sagte Gorbitsch, als wir das »Café Augenhöhe« betraten.
»Schönes Ausflugslokal.«
»Das ist kein Ausflugslokal. Das ist ein sozialpolitisches Projekt.
Die einen stinken vor Geld, sind aber unglücklich, die anderen haben keine
Kohle, dafür das Herz am richtigen Fleck. Hier bringt jeder das ein, was er
hat, und tauscht es dann gegen das jeweils andere.«
»Ihr da oben, wir da unten, was?«
»Eben nicht. Augenhöhe ist angesagt. Das ist ja der Witz.«
»Allerdings«, nickte mein Expartner. »Ein Witz. Haben die hier auch
Bier?«
Leider gab es nur biologisches aus der Flasche, aber zur Not tat’s
das auch. Wir pflanzten uns an einen der gemütlichen Tische in der Ecke und
Gorbitsch taute ein wenig auf. Er hörte auf, nur um sich selbst zu kreisen, und
erkundigte sich sogar nach meinem Fall. Es stellte sich heraus, dass er
Noteboom flüchtig gekannt hatte. Auch Hillgruber war ihm ein Begriff, Strumpf
sowieso und sogar Conny Löwenich.
»Ein seltsamer Kerl«, meinte er. »Man weiß nie, woran man
Weitere Kostenlose Bücher