Tod vor der Morgenmesse
murmelte Eadulf mehr für sich als für die anderen, »Bruder Eolas hat uns berichtet, daß Faolchair dabei war, das Buch über Edelsteine zu kopieren, wie hieß es –
De arte sordida gemmae?
«
»Eine letzte Frage«, sagte Fidelma nach kurzem Überlegen. |158| »Wie seid ihr, Cináed und du, mit Abt Erc ausgekommen?«
»Abt Erc?« wiederholte Schwester Buan nachdenklich. »Er hat uns nicht behelligt. Mir gegenüber hat er sich betont zurückgehalten.«
»Wie das?«
»Ich bin in diese Abtei eingetreten, weil ich keine Familie hatte, die für meinen Unterhalt hätte sorgen können. Hatte keinen Rang und Stand vorzuweisen, außer daß ich jung, kräftig und bereit war zu arbeiten. So habe ich mich dem Orden angeschlossen.« Sie schniefte. »Die ersten Jahre waren auch hier sehr hart für mich. Dann gab mir der Abt die Gelegenheit, für die Abtei Handel zu treiben, doch meine Ehe mit Cináed konnte und wollte er nicht gutheißen.«
»Bei eurer Heirat, als du Cináeds
cétmuintir
wurdest, muß der Abt dich doch aber als Ehefrau des Gelehrten anerkannt haben«, meinte Fidelma und hob fragend die Stimme.
Schwester Buan gab einen Laut von sich, der einem Hohnlachen gleichkam.
»Abt Erc war über unseren beabsichtigten Ehebund dermaßen erbost, daß er sich weigerte, die Heiratsriten zu vollziehen. Es gab auch niemanden sonst hier, der dazu bereit gewesen wäre. Aus Angst, beim Abt in Ungnade zu fallen.«
Fidelma kräuselte die Stirn. »Demnach war Abt Erc keineswegs gut Freund mit Cináed oder dir?«
»Von Freund kann keine Rede sein. Wäre nicht einer von Cináeds alten Bekannten aus dem Kloster Colmán zu Besuch gekommen, der zum Priester geweiht war und unseren Ehevertrag bezeugen durfte, dann hätte niemand unsere Eheschließung segnen können, denn Cináed war in seinem geschwächten Zustand nicht in der Lage, eine längere Reise zu unternehmen.«
|159| Fidelma erhob sich langsam, und Eadulf tat es ihr gleich.
»Vielen Dank, Schwester Buan, deine Auskünfte sind sehr hilfreich. Was gedenkst du nun zu tun? Vermutlich in der Abtei bleiben?«
»Ich weiß nicht, welche Stellung im Kloster ich jetzt habe.« Hilflos schaute die Frau drein. »Ich war Cináeds
cétmuintir
. Vieles ist ungeklärt. Ist es mir gestattet, weiter in seinen Räumen zu wohnen? Darf ich eine Forderung auf Sühnegeld erheben, weil man ihn ermordet hat? Kann ich seine persönlichen Sachen behalten? Ich weiß überhaupt nicht, welche Rechte ich diesbezüglich habe.«
»Hat niemand mit dir darüber gesprochen?«
»Nein, niemand. In der Klostergemeinschaft gibt es keinen Rechtsgelehrten, keinen erfahrenen Brehon. Nur Bruder Eaolas verfügt über einiges Wissen in Gesetzesfragen, der aber dürfte mir kaum gewogen sein.«
»Dann überlaß es mir, Schwester Buan. Ich werde in den Gesetzessammlungen nachsehen, was sich zu deinem Fall darin findet. Ich bin sicher, als Witwe stehen dir gewisse Rechte zu.«
Fidelma wußte, daß in allen Klostergemeinschaften noch die alte Rechtsordnung der
fénechas
galt. Jede Abtei war Teil des Stammesgebiets, in dem sie gegründet wurde, und die Stammesversammlung sprach die Nutzung der Ländereien, auf denen Klöster und Kirchen standen, den Geistlichen zu. Sie sollten daraus ihren Lebensunterhalt gewinnen. Bedingung aber war, daß dieser Grund und Boden nicht persönliches Eigentum werden durfte. Ein Mitglied der Stammesversammlung, ein Laie, agierte als Verbindungsmann zwischen dem Abt oder Bischof und dem Stammesfürsten oder Kleinkönig, der auf die Einhaltung der Gesetze drang. Fidelma hatte in Erfahrung gebracht, daß diese Aufgabe Conrí zugefallen war.
|160| Schwester Buans Fall gehörte in einen Bereich des Rechtswesens, mit dem sich Fidelma bislang nicht befaßt hatte. Das Verhältnis des einzelnen und seines persönlichen Besitzes zum Eigentum der Abtei mußte geprüft werden. Sie würde sich in den Gesetzen sachkundig machen müssen, welche rechtliche Stellung Schwester Buan zukam. Hatte sie dieselben Rechte wie die Frau eines Mannes von weltlichem Stand? Wenn dem so war, konnte sie beträchtliche Ansprüche geltend machen. Fidelma war zuversichtlich, daß in der Bibliothek der Abtei die erforderlichen Gesetzesbücher vorhanden waren.
Schwester Buan stand ebenfalls auf und strahlte Fidelma an.
»Wie kann ich dir nur danken, Schwester, du bist so ungemein freundlich zu mir …«
Fidelma war unangenehm berührt, als die Frau im Überschwang der Gefühle ihre beiden Hände ergriff.
»Den Dank heb
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