Tod vor der Morgenmesse
gleichermaßen gut auf die Weide.‹ Sie gab sich alle erdenkliche Mühe, Cináed von mir wegzulocken. Sie ist von Natur aus eine kleine Wölfin, und so heißt sie denn ja auch.«
Fidelma erinnerte sich, daß der Name Sinnchéne ›kleine Wölfin‹ bedeutete.
»Warum hatte sie es darauf angelegt? Ich meine, Cináed von dir wegzulocken?«
»Da mußt du sie schon selber fragen.«
»Und dein Ehemann, was hat der dazu gesagt?«
»Er hielt sie für ein törichtes Ding, das in seinen Ruf und sein Ansehen vernarrt war. Er dachte, sie wollte sich seine Stellung in der Abtei zunutze machen, um sich ein eigenes Nest zu bauen.«
»Aber du und Cináed, ihr wart miteinander verheiratet«, suchte Eadulf klarzustellen.
|153| »Mancherorts sind Doppelehen nicht strafbar«, hatte Schwester Buan als Antwort parat. »Ein Mann oder eine Frau können einen zweiten Gefährten heiraten, selbst wenn sie mit dem ersten Partner im Ehebündnis leben.«
Fidelma war bewußt, daß einige der alten, die Polygamie betreffenden Gesetze aus der Zeit vor dem Neuen Glauben noch ihre Gültigkeit hatten. Freilich wurde es unter dem Neuen Glauben als unstatthaft angesehen, mehr als einen Gatten oder eine Gattin zu haben.
»Glaubst du, sie hat versucht, Cináed dazu zu bringen, sie als eine
dormun
zu nehmen?« fragte sie. Das war die alte Bezeichnung für eine zweite Ehepartnerin oder Konkubine.
»Davon bin ich überzeugt.«
»Hast du Sinnchéne deswegen zur Rede gestellt?« wollte Eadulf wissen.
»Ich habe ihr einmal nahegelegt, sie solle ihn in Ruhe lassen. Aber sie wurde ausfallend und machte sich lauthals über mich lustig. Sie verteidigte sich mit der Redensart, daß ein Mann, der sich eine Kuh hält, mitunter auch Milch haben will.«
»Hat dich das sehr geärgert?«
»Ich kannte meinen Cináed«, erwiderte sie mit Nachdruck. »Sie war ihm gleichgültig. Außerdem ist beim Landvolk noch ein anderes Sprichwort im Schwange: ›Ein erfahrener Vogel läßt sich nicht mit Spreu fangen‹.«
»Hast du vielleicht jemanden gebeten, Schwester Sinnchéne klarzumachen, daß nach dem Neuen Glauben Doppelehen verwerflich sind?«
»O ja. Ich bin zu Bruder Eolas gegangen. Der kennt sich einigermaßen aus mit den Gesetzen, bloß er scheint mehr am alten Brauch zu hängen. Er hat mir aus einem Buch vorgelesen, in dem beschrieben wird, daß unter den Gesetzeshütern |154| ein Streit deswegen ausgebrochen ist. Geschlossen hat er mit dem Hinweis, daß selbst das auserwählte Volk Gottes in Vielehe gelebt hat. Deshalb sollte man sich lieber an den alten Brauch halten und ihn nicht verdammen.«
Fidelma seufzte auf. Sie kannte den Abschnitt im
Bretha Crólige,
in dem der Oberrichter aus den alten Texten nachweist, daß die Hebräer in einer Vielzahl ehelicher Gemeinschaften lebten.
»Du hast also gehört, daß Schwester Sinnchéne und Bruder Cú Mara miteinander sprachen«, nahm sie den Faden wieder auf. »Du hast dich nicht bemerkbar gemacht, weil du herausfinden wolltest, was Schwester Sinnchéne über deinen Mann zu sagen hatte. War das etwas Wichtiges?«
»Sobald ich mitbekam, daß Cináeds Name fiel, blieb ich vor der Tür stehen. Irgend etwas hatte sie über ihn gesagt, und daraufhin meinte der
rechtaire:
›Wir können nicht vorsichtig genug sein.‹ Dann wieder Sinnchéne: ›Können wir davon ausgehen, daß Cináed auch der Äbtissin gegenüber das Geheimnis für sich behalten hat?‹ Der
rechtaire
erwiderte: ›Die Leiche der Äbtissin wurde aber genau an der Stelle gefunden! Das kann doch nur bedeuten, daß da ein Zusammenhang bestand‹. Es entstand eine Pause, und weil ich annahm, sie hätten mich bemerkt, bewegte ich mich geräuschvoller und ging mit der Wäsche im Arm hinein.«
»Du hast ein gutes Gedächtnis, Schwester«, lobte Fidelma sie. »Haben die irgend etwas zu dir gesagt?«
Schwester Buan verneinte mit einer Handbewegung.
»Bruder Cú Mara tat so, als hätte auch er Wäsche gebracht, dankte Schwester Sinnchéne recht überschwenglich dafür, daß sie ihm die Sachen abgenommen hatte, und eilte davon.«
»Hat Schwester Sinnchéne danach etwas zu dir gesagt?«
»Sie hat mich nur finster angeblickt, was sie meistens tut, |155| und die Kleidungsstücke ziemlich unfreundlich an sich gerissen. Da bin ich einfach gegangen.«
»Hast du von dem Wortwechsel zwischen den beiden auf irgend etwas schließen können?«
Unentschlossen hob Schwester Buan die Schultern.
»Könnte dieses Geheimnis, diese Furcht, die Cináed in der Nacht vor
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