Tod vor der Morgenmesse
bald, Hobelspäne und Kerze zu entzünden.
|37| Sogleich fühlte er sich ruhiger, schritt in den Innenraum und blieb vor dem Altar stehen. Schwerfällig ließ er sich auf die Knie nieder, setzte die flackernde Kerze vor sich ab, breitete die Arme aus und imitierte mit seinem Körper symbolisch das Kreuz. So vorbereitet konnte er nun das
cross-figill,
das Gebet vor dem Kreuz, anstimmen.
Er war im Begriff, mit der Litanei zu beginnen, als er unmittelbar vor ihm auf den Fliesen etwas Befremdliches bemerkte. Stirnrunzelnd griff er danach. Es war eine Bronze
crotal
,
eine Glocke mit geschlossenem Boden. Das birnenförmige Gehäuse umschließt eine lose Kugel, die bei Schwingung einen Ton erzeugt. Er nahm sie auf und spürte, daß sie feucht war – klebrig naß. Rasch zog er die Hand zurück und betrachtete den Gegenstand im Licht der Kerze etwas genauer. Die klebrige Substanz erwies sich als Blut.
Abt Erc griff nach der Kerze, versuchte auf die Füße zu kommen und sah sich vorsichtig um. Im
aireagal
war eindeutig kein Mensch, es sei denn … Er blickte zum Altar und entdeckte unmittelbar davor dunkle Flecken.
»Ist da jemand?« Die bange Frage klang mehr wie ein Krächzen. Er räusperte sich. »Im Namen Gottes, ist da jemand?« wiederholte er etwas beherzter.
Es kam keine Antwort.
Er näherte sich dem Altar, einem massiven Block aus Kalkstein, in den die Namen des
Sanctissimus Ordo,
der ersten Heiligen von Éireann, eingemeißelt waren. Abt Erc hielt die Kerze hoch und ging um den Altar.
Die Leiche lag auf dem Rücken, die Hände über dem Kopf ausgestreckt, als hätte sie jemand an den Armen hinter den Altar gezerrt. Der Kopf und das weiße Haar waren voller Blut; offensichtlich war auf den Schädel mit einer schweren Keule eingedroschen worden.
|38| »Oh, mein Gott!« stöhnte der Abt. »Nicht schon wieder! Nicht schon wieder!«
Er hatte den Leichnam auf den ersten Blick erkannt. Es war der Ehrwürdige Cináed.
Der
rechtaire
war dermaßen aufgeregt, daß er völlig vergaß, beim Abt anzuklopfen. Er stürmte ins Gemach, so daß der grauhaarige Abt, der auf einem Stuhl am lodernden Feuer saß, erschreckt aufblickte. Erzürnt sah er den jungen Verwalter an, dessen Wangen vor Erregung glühten.
»Sie sind da«, rief Bruder Cú Mara. Und ehe der Abt eine tadelnde Bemerkung äußern konnte, fuhr er fort: »Sie nähern sich dem Kloster. An der Spitze reitet Fürst Conrí. Ich geh sie am Tor willkommen heißen.«
Ein Wort der Erwiderung war Abt Erc nicht vergönnt; der junge Mann schien in seiner Aufregung alle Regeln von Anstand und Ehrerbietung vergessen zu haben, machte kehrt und hastete davon. Die Tür blieb offen, und ein heftiger Luftzug wirbelte durch den Raum.
Der Abt setzte den Weinkelch ab, stand auf, schlurfte zur Tür, blieb einen Moment stehen, hob seufzend die Schultern und schloß die Tür.
Äußerlich war ihm nichts anzumerken, doch gestand er sich ein, daß er die Aufruhr der Gefühle des Verwalters bis zu einem gewissen Grade teilte. Es war zehn Tage her, daß er Conrí, den Kriegsherrn der Uí Fidgente, um Hilfe ersucht hatte. Im Monat zuvor hatten zusammen mit Äbtissin Faife sechs junge Schwestern der Gemeinschaft das Kloster verlassen. Sie waren nur wenige Tage fort gewesen, als Mugrón, ein in Ard Fhearta wohlbekannter Kaufmann, mit erschreckender Kunde erschienen war. Er hatte nahe der Wegstrecke südlich der Sliabh-Mis-Berge den Leichnam der Äbtissin gefunden. |39| Von ihren sechs Begleiterinnen fehlte jede Spur. Zufällig stattete Conrí, Anführer der Stammeskrieger und zudem Neffe der Äbtissin, dem Kloster einen Besuch ab. Er barg den Leichnam, wohnte den Begräbniszeremonien bei und beteuerte Abt Erc, er wisse nur von einer Person, die in der Lage sei, die rätselhaften Geschehnisse zu klären. Er war mit zwei Kriegern losgezogen und hatte versprochen, den Retter in der Not ausfindig zu machen und ihn so rasch wie möglich zu Hilfe zu holen.
Nun war es soweit: Conrí kehrte zurück. Nur war es in der Zwischenzeit zu einem zweiten tragischen Vorfall gekommen – der Ermordung des Ehrwürdigen Cináed.
Bei dem Gedanken daran, wie er Cináeds Leiche im Bethaus gefunden hatte, fröstelte es Abt Erc. Gott! Welche bösen Mächte spielten der berühmten Abtei so übel mit? Trübsinnig starrte der Abt ins Feuer und fragte sich, welcher Art die Person war, in die Conrí so großes Vertrauen setzte und die er bitten wollte, Licht in das Dunkel zu bringen.
Conrí, »König der
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