Tod vor der Morgenmesse
antworten?« schnaubte er.
»Doch, kann ich«, stellte sich Esumaro schützend vor sie. »Es ist, wie meine Schwester im Glauben, Schwester Easdan, sagt. Ich gehöre der Bruderschaft des heiligen Budoc an.« Er war froh, behalten zu haben, wie die Äbtissin ihre Gefährtin angeredet hatte.
Der schwarzbärtige Wüstling grunzte, schien noch etwas sagen zu wollen und schaute wieder zu der unkenntlichen Gestalt. Irgendwie verständigten sie sich, denn er wandte sich um und winkte dem Trupp, ihm zu folgen.
»Vorwärts jetzt, und daß mir keiner redet«, rief er. »Vergeßt nicht, an euch liegt’s, ob ihr überlebt oder sterbt. Meine Leute sind wachsam.«
Esumaro warf Schwester Easdan einen Blick zu, der ihr, wie er hoffte, seine Dankbarkeit bekundete. Er würde sie fragen müssen, wer dieser Budoc war. Doch auf was hatte er sich da eingelassen? Gott im Himmel! In was für eine Mördergrube war er geraten?
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|35| KAPITEL 2
Es war noch dunkel, als Abt Erc sein warmes Gemach in der großen Abtei von Ard Fhearta verließ. Er hatte sich den wollenen Mantel über die gebeugten Schultern geworfen und machte sich auf den Weg durch das
vallum monasterii
. Trotz der Dunkelheit konnte er die tiefhängenden Wolken am Himmel erkennen; feiner Eisregen sprühte ihm ins Gesicht. Noch etliche Stunden würden vergehen, bis die Wintersonne aufging, doch schon bald würde das Läuten der Glocke den Beginn eines neuen Tages verkünden und die Klostergemeinde wecken. Für den alten Abt war es ein besonderer Tag, war es doch das Fest der heiligen Íte, »der strahlenden Sonne der Frauen von Muman«, die Bréanainn, den Gründer von Ard Fhearta, aufgezogen und unterwiesen hatte. Heute würde man in der kleinen Kapelle ganz besondere Gebete sprechen, denn der Überlieferung nach war es hier gewesen, daß Bréanainn zum ersten Mal den Männern und Frauen, die er an diesem Ort zusammengerufen hatte, die drei Grundlehren von Íte predigte. Wie Íte, so hatte auch er sie ermahnt, ein reines Herz zu bewahren, ein genügsames Leben zu führen und edelmütig im Umgang miteinander zu sein. Seither lebte man in einem
conhospitae,
Männer und Frauen arbeiteten einträchtig im Dienst des Neuen Glaubens.
Vor dem kleinen, aus Steinen gebauten
aireagal,
dem Bethaus, das viele der Brüder lieber mit dem lateinischen Namen
oraculum
bezeichneten, hielt der Abt inne. Dann stieß er die hölzerne Tür auf. Gegen alle Gewohnheit war das Innere des Raumes in völliges Dunkel gehüllt. Eigentlich hätte darin ein Licht brennen müssen, und daß dem nicht so war, ärgerte ihn. Es gehörte zu den Pflichten des
rechtaire,
des Verwalters der Klosteranlage, dafür zu sorgen, daß im
aireagal
ständig eine |36| Lampe brannte. Auch war er davon ausgegangen, der Ehrwürdige Cináed würde ihn bereits erwarten, so daß sie gemeinsam das Bethaus segnen und die Altarkerzen für die Morgenandacht anzünden konnten.
Er wandte sich um und schaute hinaus in den trüben Regenschleier und auf die sich düster abhebenden Klostergebäude im Hintergrund.
Nichts deutete darauf hin, daß Cináed auf dem Weg hierher war. Dergleichen war man nicht gewohnt vom ältesten Gelehrten des Klosters. Cináed galt als so alt, daß viele der jüngeren Ordensbrüder glaubten, er hätte noch Bréanainn in persona erlebt. In der Tat war Cináed mit einigen älteren Mitgliedern des Klosters zusammen gewesen, die ihrerseits den heiligen Begründer der Abtei gekannt hatten. Von allen war er am längsten in Ard Fhearta, und als man Erc zum Abt gewählt hatte, war dem nicht recht wohl ums Herz gewesen, denn eigentlich hätte Cináed diese Stellung zugestanden. Doch der war es zufrieden, allzu gerne zog er sich mit seinen Manuskripten und Schreibutensilien in seine Zelle zurück und widmete sich seinen Studien. Hin und wieder unterrichtete er die Jungen in den Künsten der Kalligraphie und des Verfassens von Streitschriften. Für seine Stellung im Orden spielte es eine nicht unwesentliche Rolle, daß Cináed zwar als Mönch lebte, aber nie zum Priester geweiht worden war, und auch kein Interesse daran bekundete. Dennoch verlangte es der Brauch, daß das älteste Mitglied der Gemeinschaft zum Festtag der Íte bei der Segnung des Andachtsraums mit zur Hand ging.
Abt Erc verharrte einen Augenblick länger, schritt dann zum Bord bei der Tür, wo in der Regel Talgkerze und Zunderbüchse standen. Er tastete danach, denn sehen konnte er kaum etwas, und dank langjähriger Übung gelang es ihm
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