Tod vor der Morgenmesse
Wölfe« und Kriegsherr der Uí Fidgente, hielt sein Pferd auf der Bergkuppe an und tätschelte den Hals des Braunen. Der Reiter war von großer und kräftiger Statur, hatte dichtes schwarzes Haar, graue Augen und quer über der linken Wange eine blaßweiße Narbe. Die wirkte aber nicht weiter entstellend, und besonders wenn der gutaussehende junge Mann lächelte, verrieten seine Züge ein fröhliches Temperament. Sein Lachen verlieh dem zunächst arrogant anmutenden Gesichtsausdruck etwas spitzbübisch Jungenhaftes. Jetzt drehte er sich zu seinen Begleitern um und deutete über die Ebene in nordwestlicher Richtung.
»Das dort vorne ist die große Abtei von Ard Fhearta, Lady.«
Mit ihm ritten eine rothaarige Ordensschwester und ein untersetzter |40| Mann mit der Tonsur des heiligen Petrus, und hinter ihm zwei mürrisch dreinblickende Bewaffnete. Die Frau und der Mann zügelten ihre Rosse und blickten über Conrís ausgestreckten Arm hinweg.
»Weit ist die Reise von Cashel nicht gewesen, Conrí«, stellte die Frau fest.
»Hatte ich ja vorausgesagt«, bestätigte der Angesprochene. »Was mir nur leid tut ist, daß ich nichts Besseres wußte, als ausgerechnet dich zu bitten, uns mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.«
Skeptisch grinste ihn der Begleiter der Ordensschwester an. »Wie hätten wir uns verweigern können, da du dein Anliegen so überzeugend dargelegt hast?«
Die Bemerkung weckte Conrís Argwohn. »Wenn mir etwas abgeht, dann ist es Redegewandtheit, Bruder Eadulf«, erwiderte er. »Ich glaube eher, daß die befremdlichen Geschehnisse Lady Fidelma bewogen haben, mit mir zu ziehen.«
Bruder Eadulf wollte gerade etwas entgegnen, als Schwester Fidelma die Hand hob und mit dem Kopf leicht in eine Richtung wies. »Hört mal! Was ist das?«
Sie vernahmen ein schwaches rhythmisches Geräusch ähnlich einem Trommelschlag aus weiter Ferne, langsam, aber regelmäßig.
»Bist du noch nie in dieser Ecke von Muman gewesen, Lady?« fragte Conrí. Er redete Fidelma stets mit ihrem Rang als Schwester von Colgú, des Königs von Muman, an und verzichtete auf die Nennung ihres Ordenstitels.
»Ich habe mich bisher nie jenseits der Bergkette von Sliabh Luachra aufgehalten, die uns vom Kernland der Uí Fidgente trennt«, meinte sie. Und mit einem verschmitzten Lächeln fügte sie hinzu: »Aus gutem Grund, wie du mir zugestehen wirst, Conrí.«
|41| Es war noch nicht lange her, daß die Fürsten der Uí Fidgente ihre Stammesleute in einen aussichtlosen Krieg geführt hatten, um Fidelmas Bruder, der damals erst kurze Zeit auf dem Thron von Cashel saß, zu stürzen. Erst vor zwei Jahren hatten die Uí Fidgente bei Cnoc Áine eine Niederlage erlitten. Danach hatte man den jungen Conrí zum neuen Kriegsherrn erkoren, und der hatte dank seiner diplomatischen Fähigkeiten im Namen des neuen Stammesfürsten Donennach ein Bündnis mit Cashel zuwege gebracht.
»Ich dachte, dieser Landstrich gehörte zum Stammesgebiet der Ciarraige Luachra und nicht der Uí Fidgente?« äußerte sich Bruder Eadulf bissig. Er war von Anfang an gegen diese Reise gewesen, hatte es aber nicht versäumt, sich vor ihrem Aufbruch in der Bibliothek von Cashel kundig zu machen.
Conrí ließ sich die gute Laune nicht nehmen. »Vor zwei Generationen hat unser Stammesfürst Oengus mac Nechtain das Gebiet der Ciarraige Luachra unserem Territorium zugeführt. Aber du hast insofern recht, Bruder Eadulf, als das hauptsächliche Gebiet der Uí Fidgente mehr im Nordosten liegt.«
»Also, was ist das für ein Geräusch?« griff Fidelma ihre Frage wieder auf.
»Das ist das Meer. Wir sind keine sechs Kilometer von ihm entfernt.«
»Ich bin schon näher an Küsten dran gewesen, habe aber nie etwas Ähnliches gehört.«
»Vor dem Kloster, auf der anderen Seite der Hügel, zieht sich von Süden nach Norden ein sandiger Küstenstreifen von elf, zwölf Kilometern hin. Wir nennen ihn den Banna-Strand, das sandige Meeresufer vor den Bergeshöhen. Selbst an ganz windstillen Tagen sind die Meereswogen dort hoch und ungestüm, und die Wellen brechen sich mit ungeheurer Kraft; |42| man könnte meinen, der Erdboden erzittert, wenn man näher kommt. Die Winde, die das Wasser peitschen, sind zeitweise ungemein heftig und sorgen für klare Luft, und die wiederum hält die Menschen gesund und widerstandsfähig, jedenfalls behaupten das die Heilkundigen.«
Bruder Eadulf betrachtete die Landschaft mit kritischem Blick. »Die Bäume zumindest sehen nicht gesund und
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