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Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman

Titel: Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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doch kein Diebstahl.
    So mühelos überschritt ich die Grenze zwischen Unschuld und Schuld, so schnell ging dies vor sich, ohne nachzudenken. Den
     einen Augenblick war ich noch ein getreuer Leser, voll der Freude über die reiche Auswahl, die sich mir bot, im nächsten bereits
     ein angehender Dieb, dem durchaus bewusst war, was er hier tat, der verstohlene Blicke ausschickte und nach einer Gelegenheit
     Ausschau hielt.
    Ich nahm zwei Bücher und schob sie unter mein Hemd. Und dann ging ich die Treppe hinab, langsam, nonchalant, hatte den Bauch
     eingezogen, um die Ausbuchtung zu verbergen, leicht nach vorne gebeugt zur zusätzlichen Tarnung, mein Herz raste, meine Hände
     schwitzten, näherte mich mehr und mehr dem Ausgang, kam ihm immer näher, seufzte erleichtert auf — bis sie mich am Arm packte
     und mich mit den Worten ansprach, mit denen so viele Südafrikaner ein Gespräch beginnen, diesem Eckstein unseres Minderwertigkeitgefühls:
     »Äh, Entschuldigung …«
    Sie war fett und hässlich, und der Name auf ihrem CNA-Schildchen auf ihren mächtigen Brüsten lautete: »Monica«. Sie zog mich
     zurück, wieder in den Laden hinein. »Gib die Bücher her«, sagte sie.
    Nachher dachte ich an tausend Dinge, die ich hätte tun, die |130| ich hätte sagen können: mich losreißen und davonlaufen; »War doch nur Spaß«; »Was für Bücher?«; »Fick dich.« Oft sehnte ich
     mich später, wenn ich mich an ihr Gesicht erinnerte, danach, dass ich in der Lage gewesen wäre, ihr ein »Fick dich« entgegenzuschleudern.
    Ich zog die Bücher heraus. Meine Knie zitterten.
    »Hol Mr. Minnaar«, sagte sie dem Mädchen an der Kasse. Und zu mir: »Das wird dir heute eine Lehre sein.«
    Ach, die Angst und die Demütigung, die so langsam heranreifen. Die Folgen meiner Tat zeigten sich nicht geballt, sie stellten
     sich nicht auf einen Schlag ein, sondern rückten als eine lange Reihe einzelner, unangenehmer, entschlossener Botschafter
     an. Ich wusste, was mir blühte, lange bevor Mr. Minnaar, der glatzköpfige Mann mit der Brille, auftauchte.
    Ich stand da und hörte Monica zu Minnaar sagen, wie sie mich im Obergeschoss beobachtet und dann gewartet hatte, bis ich durch
     die Tür gehen wollte.
    »Ts, ts, ts«, machte er und sah mich mit großem Missfallen an. Und als sie mit ihrer Erzählung fertig war, meinte er: »Rufen
     Sie die Polizei.«
    Während sie dies tat, sah er mich erneut widerwillig an und sagte: »Ihr klaut uns noch den Stuhl unterm Hintern weg.«
    Ihr.
Durch ein Wort war ich zum Teil einer ganzen Gruppe geworden. Als hätte ich es schon mal getan. Als würde ich mich ständig
     in Gesellschaft von Kriminellen aufhalten.
    Ich glaube, ich war zu verängstigt, um zu weinen. Als der junge Constable in seiner blauen Uniform kam und wir in |131| Minnaars kleines Büro gingen, wo er die Aussage aufnahm. Als er mich am Arm fasste und zum gelben Polizeiwagen führte. Als
     er mich vor der Polizeidienststelle in der Innenstadt neben dem indischen Einkaufszentrum aus dem Wagen zog und ins Dienstzimmer
     brachte. Da hatte ich einfach die Hose gestrichen voll.
    Er wies mich an, Platz zu nehmen, und sagte dem Sergeant hinter dem Schreibtisch, ein Auge auf mich zu haben. Einige Minuten
     später kam er mit einem Detective zurück.
    Er war ein großer Mann. Mit großen Händen, dicken Augenbrauen und einer Nase, die bereits einiges abbekommen hatte.
    »Wie heißt du?«, fragte der große Mann.
    »Zatopek, Sir.«
    »Komm mit, Zatopek.«
    Ich folgte ihm in sein Büro, einen grauen Raum mit einer Büroeinrichtung, wie sie typisch war für den öffentlichen Dienst,
     voller chaotisch verteilter Aktenstapel und Schriftsätze.
    »Setz dich«, sagte er.
    Er lehnte sich gegen die Schreibtischkante, in der Hand die Aufzeichnungen des Constable.
    »Wie alt bis du?«
    »Sechzehn, Sir.«
    »Wo wohnst du?«
    »In Stilfontein, Sir.«
    »Neunte Klasse?«
    »Ja, Sir.«
    »Stilfontein High School?«
    »Ja, Sir.«
    |132| »Du hast Bücher gestohlen.«
    »Ja, Sir.«
    »Louis L’Amour.«
    »Ja, Sir.«
    »Wie oft hast du schon Bücher geklaut?«
    »Das war das erste Mal, Sir.«
    »Was hast du früher sonst noch geklaut?«
    »Nichts, Sir.«
    »Nichts?«
    »Ich … hab einmal in der Schule Gunther Krause das Lineal geklaut, Sir, aber das war mehr zum Spaß, Sir. Ich werde es ihm
     zurückgeben, Sir.«
    »Warum hast du die Bücher gestohlen?«
    »Es war falsch, Sir.«
    »Ich weiß, dass das falsch war. Ich möchte wissen, warum.«
    »Ich … ich

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