Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
Sir?«
»Er ist nicht zu stoppen.«
»Warum sagen Sie das?« Wo zum Teufel war van Heerden?
»Weil es ihnen Spaß macht, Leute umzubringen. Kapieren Sie das endlich!«
Einen Augenblick lang war sie sprachlos.
»Wir … ähhh … würde es Ihnen was ausmachen, hierher zu kommen und mit uns zu reden? Hier …«
»Nein.«
»Wir sichern Ihnen größte Diskretion zu, Sir.«
»Nein«, kam es von der männlichen Stimme. »Bushy … ich will nicht, dass er mich findet.«
»Wo finden wir Schlebusch, Sir?«
»Ich glaube, Sie kapieren es noch immer nicht.
Er
wird
Sie
finden. Und dann will ich nicht im Weg stehen.«
|285| 30
Das Leben, die Menschen, die Ereignisse sind komplex, vielschichtig, facettenreich und mit zahllosen Nuancen versehen.
Im Gegensatz zu meinen dürftigen Worten. Ja mehr noch: Alles, was ich Ihnen hier erzähle, besitzt einen gewissen Propagandawert,
alles, was ich auslasse, verzerrt das Bild.
Meine Erfahrung als Autor beschränkt sich auf das akademische Umfeld, und ich bin sehr darum bemüht, dies aus diesen Aufzeichnungen
herauszulassen. Meine Worte erscheinen mir schwer, der Stil gezwungen und wenig geschmeidig. Aber damit müssen Sie leben.
Besser kann ich es nicht.
Ich muss erklären, welcher Mensch ich im Jahr 1991 gewesen bin, in den Wochen, in denen ich auf die Antworten zu meinen Briefen
an die verschiedenen Morddezernate des Landes gewartet hatte.
Denn letztendlich ist der Zweck dieser Geschichte, abzuwägen, zu vergleichen, einzuschätzen: wer ich war, welches Potenzial
der Mensch besaß, der sich im Alter von einunddreißig Jahren mit wahrer Besessenheit in diese akademischen Mordermittlungen
stürzte. Und zu erörtern und zu spekulieren, was ebenfalls hätte geschehen können.
Denn es war eine Zeit, in der mir mehrere Möglichkeiten offen standen. Wenn ich an alle Aspekte meines Lebens |286| zurückdenke, ist es äußerst erstaunlich, wie viele winzige Details den Lauf der Ereignisse hätten beeinflussen und dazu hätten
führen können, dass ich an einer Weggabelung in eine andere Richtung abbog.
Ich stand kurz davor, in eine ganz und gar konventionelle Zukunft zu schreiten, ich war nur um Haaresbreite davon entfernt.
Hätte ich diese beiden Aufsätze nicht gelesen, wäre die Marnewick-Akte für mich von keinerlei Interesse gewesen, und ich wäre
einem anderen, geradlinigeren Weg gefolgt. Wendy und ich wären heute vielleicht verheiratet, Professor und Mrs. Z. van Heerden
mit Wohnsitz an der Waterkloof Ridge, in mittleren Jahren, die unglücklichen Eltern von zwei oder drei Kindern, die von der
Frustration einer unerfüllten Ehe systematisch vergiftet wurden.
Trotz allem, was ich bislang über Wendy Brice gesagt habe, war ich nicht ganz unwillens, den konventionellen Weg einzuschlagen.
Verstehen Sie, praktisch gesehen waren wir ein typisches Paar in Pretoria. Unser Freundeskreis war klar definiert — und definierte
uns. Wir waren Zet und Wendy, wir wurden eingeladen und luden andere ein, wir hatten unseren Alltag, unsere Augenblicke aufflackernden
Glücks, unser Zusammensein. Wir bildeten für den jeweils anderen den Bezugsrahmen, wir passten in die ordentliche Struktur
unseres sozialen Milieus.
Ich werde nicht abschweifen und über einengende Bindungen philosophieren, aber in einem Freundeskreis, in den man eingebunden
ist, herrscht ein nicht unbeträchtlicher Druck. Individualität, persönliche Ziele gehen unter dem kollektiven Namen Zet-und-Wendy
verloren. Die Umstände |287| schließen sich zusammen und zwingen einen, sich einzuordnen, seinen Platz im größeren Schicksal der Menschheit einzunehmen:
sich fortzupflanzen, seine Gene weiterzugeben, eine konservative Rolle zu spielen. Auch wenn ich wusste, dass sie nicht die
Wahre war.
Wir waren beliebt. Wir waren
in
, wir erregten Aufmerksamkeit. Ich denke, die Leute drehten sich nach uns um, dem athletischen dunkelhaarigen Mann und der
hübschen kleinen Blonden. Das alles zusammen gab uns den Weg vor und bestimmte die Richtung.
Ich protestierte kaum. Ich hatte keine klare Vorstellung von einer alternativen Zukunft ohne sie. Ich bereitete mich darauf
vor, irgendwann nachzugeben, sie wie ein Opferlamm zu ehelichen, Kinder zu zeugen, meine akademische Karriere bis zu ihrem
folgerichtigen Abschluss voranzutreiben, Golf zu spielen, Rasen zu mähen, mit meinem Sohn zu Rugbyspielen zu gehen, vielleicht
einen Mercedes zu besitzen und einen Swimmingpool.
Ich sehnte mich nicht
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