Todes Kuss
hatte.
„Gestern Abend“, sagte ich, „hat Cécile mich zu einer wundervollen Feier mitgenommen. Es handelte sich um eine Dinnergesellschaft zu Ehren Renoirs, der kürzlich geheiratet hat. Cécile drängte mich, ich solle ein Porträt des Malers anfertigen und es ihm und seiner Gemahlin als Hochzeitsgeschenk überreichen. Ich entschied mich, etwas im Stil der antiken griechischen Vasen zu wagen. Renoir stellte ich als Paris dar, wie er seine Helena entführt.“
„Emily, wie mutig von dir! Ich hätte nie gewagt, einem so bekannten Maler etwas von mir Gezeichnetes zu geben.“
„Es war doch nur ein Scherz! Niemand erwartete, ein Kunstwerk aus meiner Hand zu sehen. Und natürlich war meine Skizze auch keines.“
„Befürchtest du nicht, es könnte dir gesellschaftlich schaden, mit diesen Leuten zu verkehren?“, fragte Ivy und errötete dabei ein wenig. „Ich meine, diese Maler und ihre Modelle haben zum Teil jahrelang zusammengelebt, ohne den Bund der Ehe zu schließen. Man sagt, Alice Hoschedé sei verheiratet und habe ihren Mann verlassen, um mit den Kindern zu Monet zu ziehen. Über deiner Begeisterung für die impressionistische Malerei solltest du deine eigene Zukunft nicht ganz vergessen.“
Mir war, als würde ich Roberts Worte aus Ivys Mund hören. Meine Freundin schien glücklich mit ihm zu sein. Doch irgendwie musste er ihr ihre fortschrittlichen Ansichten ausgetrieben haben.
„Cécile bewegt sich in den besten Kreisen“, verteidigte ich mich. „Es ist allgemein bekannt, dass sie Kontakt zu den verschiedensten Künstlern pflegt, und niemand macht ihr das zum Vorwurf.“
„Madame du Lac befindet sich in einer ganz anderen Lage als du.“
„Ja“, meinte ich leicht gereizt, „sie ist bereits bedeutend länger Witwe als ich.“
„Vor allem plant sie in ihrem Alter gewiss keine zweite Ehe. Du hingegen bist jung und hast das Leben noch vor dir.“
„Ivy“, rief ich erschrocken aus, „hat meine Mutter dich etwa gebeten, mir ins Gewissen zu reden?“
„Natürlich nicht!“ Sie begann herzhaft zu lachen. „Es ist nur … Jetzt, da ich die Freuden des Ehelebens kenne, wünsche ich mir so sehr, dich ebenfalls glücklich zu sehen.“
„Aber ich bin glücklich! Paris und die Menschen, die ich hier kennengelernt habe, gefallen mir. Ich liebe den Louvre. Und ich kann mich so frei bewegen wie nie zuvor in meinem Leben. Sicher, es stimmt, dass ich oft an Philip denke. Vor allem seit ich weiß, dass er mir einen griechischen Kosenamen gegeben hat.“
„Wer hätte gedacht, dass er so romantisch veranlagt war?“
Unwillkürlich seufzte ich auf. „Ich wünschte, ich wäre nicht so blind ihm gegenüber gewesen. Ich Dummkopf habe ihn immer für einen oberflächlichen Menschen gehalten, der sich nur für die Jagd interessiert.“
„Das ist sicherlich bedauerlich. Aber viel wichtiger ist, dass du daraus gelernt hast. Bestimmt betrachtest du deine Mitmenschen jetzt viel aufmerksamer. Vor allem die vornehmen Gentlemen, die sich vielleicht in dich verlieben!“
Ich begann zu lachen, brach jedoch abrupt ab, als mein Blick auf eine Gestalt fiel, die uns in einiger Entfernung folgte. Ich ergriff Ivy beim Arm, zog sie näher zu mir heran und bedeutete ihr mit einer Kopfbewegung, dass sie sich umschauen sollte. „Siehst du den Mann mit der Narbe?“
Sie nickte.
„Ich glaube, er verfolgt mich.“
„Bestimmt gefällst du ihm.“
„Unsinn! Deshalb wäre er mir doch nicht bis Paris nachgereist! Er ist mir schon in London zweimal aufgefallen. Ehrlich gesagt, macht er mir ein wenig Angst.“
„Bist du denn ganz sicher, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt?“
„Mit seiner Narbe ist er unverwechselbar, findest du nicht?“
„Das stimmt. Trotzdem denke ich, dass du dich in ihm irrst. Wahrscheinlich ist diese Begegnung rein zufällig. Warum, um Himmels willen, sollte er dich verfolgen?“
„Weil …“ Ich kam nicht dazu, Ivy eine Erklärung zu geben. Mit weit aufgerissenen Augen musterte ich einen hoch gewachsenen, gut aussehenden Gentleman, der uns entgegenkam. „Sieh nur“, flüsterte ich meiner Freundin zu und hob grüßend die Hand. Ich war sehr erleichtert darüber, jemanden zu treffen, der mich vor möglichen Übergriffen des Narbengesichtigen schützen würde.
„Lady Ashton! Mrs Brandon! Welch angenehme Überraschung!“ Colin Hargreaves verbeugte sich vor uns.
„Sind Sie schon lange in Paris?“, fragte Ivy.
„Nein, ich bin gerade erst angekommen. Ist es Ihnen recht,
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