Todes Kuss
wird.
11. KAPITEL
Ein paar Tage lang gestattete ich mir den Luxus, mich wie eine tieftraurige und gleichzeitig aufgewühlte Witwe zu benehmen. Dann jedoch, das wusste ich, musste ich mich wieder meinen gesellschaftlichen Verpflichtungen stellen. Ich stattete allen, die das erwarten durften, einen Besuch ab. Und ich registrierte, wie ich mich nun freute, wenn das Gespräch auf Philip kam. Denn jetzt, da ich aufrichtig um ihn trauerte, sprach ich gern über ihn. Ja, um mehr über ihn zu erfahren, lud ich sogar seine Schwester Anne für eine Woche zu mir ein. Wir verstanden uns gut, und ich lauschte gespannt den Geschichten, die sie über Philips Kindheit und seine Studentenjahre erzählte.
Nach Annes Abreise fühlte ich mich endlich stark genug, mich von jenen Besitztümern zu trennen, mit denen ich mich bisher nicht hatte beschäftigen wollen. Kurz nach Philips Tod hatte mich meine Mutter in einem gänzlich ungewohnten Anfall von Hilfsbereitschaft darin unterstützt, ein paar Dinge auszusuchen, die einen gewissen Erinnerungswert für mich besaßen. Aber um all das, was mein Gemahl etwa in seinem Ankleideraum aufbewahrte, hatte ich mich bisher nicht gekümmert. Jetzt beauftragte ich Davis, mit ein paar Dienstboten die Schränke zu leeren und auch alle Toilettenartikel zu entfernen. Vorher jedoch wollte ich mir selbst einen Überblick verschaffen.
Noch nie hatte ich das Ankleidezimmer betreten. In unserer Hochzeitsnacht waren Philip und ich gemeinsam in unser Schlafgemach gegangen. Meg hatte mich dort erwartet und mich sogleich in den Nebenraum gezogen. Als sie die Verbindungstür gerade schließen wollte, hatte Philip mir nachgerufen: „Du brauchst dich nicht zu beeilen, Emily. Ich werde in meinem Ankleidebereich bleiben, bis du fertig bist. Es wäre allerdings schön, wenn du mich nicht zu lange warten ließest.“
Nervös hatte ich mich zu ihm umgedreht und gesehen, dass er lächelte.
„Ich möchte, dass du dich hier, wo wir unsere Nächte verbringen werden, wohlfühlst. Versuche, dich zu entspannen.“
Die Selbstverständlichkeit, mit der er von „unseren Nächten“ sprach, hatte mich erschreckt. Tatsächlich begriff ich erst in diesem Moment, dass ich mit der Eheschließung das Privileg verloren hatte, einen Schlafraum für mich allein zu haben. In meinem Elternhaus hatte mich niemand beim Schlafen gestört. Ich konnte mir das Frühstück ans Bett bringen lassen und brauchte mir keine Gedanken über mein Aussehen zu machen, ehe ich nicht mein Zimmer verließ. Ohne Wissen meiner Mutter konnte ich im Bett die Zeitung lesen und heimlich in Büchern schmökern, die zweifellos ihr Missfallen erregt hätten.
Meg hatte die Angst in meinen Augen gesehen, glaubte jedoch, ich fürchte mich vor dem, was man gemeinhin als eheliche Pflichten bezeichnet. Sie reichte mir ein Glas Sherry, und ich goss es hinunter, obwohl ich ja den Geschmack verabscheute. Meine Zofe machte sich nun daran, die vielen winzigen Perlmuttknöpfe zu öffnen, die mein Kleid zierten. Dann half sie mir aus dem Korsett, löste mein Haar und bürstete es lange. Als sie mich schließlich allein ließ, blieb ich noch eine Weile vor dem Spiegel sitzen, ohne mich zu rühren.
Es kostete mich große Überwindung, ins Schlafzimmer zurückzukehren und ins Bett zu steigen. Auf welche Seite sollte ich mich legen? Ratlos schaute ich von einem Kopfkissen zum andern, um dann in der Mitte des Betts sitzen zu bleiben und nach Philip zu rufen.
Ich weiß noch, wie er im Nachthemd und mit leicht zerzaustem Haar zu mir kam, sich neben mich kniete und mein Gesicht zärtlich mit den Händen umschloss.
„Wie glücklich du mich machst!“ Er strich mir eine Locke aus der Stirn und gab mir einen kleinen Kuss. „Hm“, murmelte er, „du schmeckst nach Sherry.“
„Ich habe jedoch keine Ahnung, wonach du schmeckst“, war das Einzige, was mir als Entgegnung darauf einfiel.
„Portwein“, hatte er geantwortet.
In Erinnerung daran musste ich lächeln. Inzwischen trank ich selbst Port und kannte den Geschmack. Was Philip wohl dazu gesagt hätte?
Entschlossen öffnete ich die Tür des Ankleidezimmers und schaute mich um. Seine Kleidung, seine Schuhe, seine Seife auf dem Waschtisch … Mir war plötzlich, als müsse Philip selbst jeden Moment hereinkommen. Ich konnte seine Nähe förmlich spüren. Der für ihn so typische Duft nach gebügeltem Leinen stieg mir in die Nase. Ich drehte mich auf dem Absatz um und floh aus dem Raum.
Einige Zeit später fand ich mich
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