Todes Kuss
nicht spielen.“ Mit den Blicken folgte ich Arthur, der noch immer von Regal zu Regal ging, wahllos Bücher herauszog, sie kurz durchblätterte und nachlässig zurückstellte. „Halten Sie nach etwas Bestimmtem Ausschau, Mr Palmer?“
„Nein, ich versuche nur, mir ein Bild vom Aufbau der Bibliothek zu machen.“
„Mein Bruder möchte verhindern, dass Sie weiter nach Neuigkeiten über Arabella Dunleigh fragen. Er ist nämlich ein wenig schüchtern.“
„Gewiss wird er mir alles, was ich seiner Ansicht nach wissen sollte, sagen, ohne dazu gedrängt zu werden.“
„O Emily, Sie wollen mich bestrafen! Bitte, seien Sie doch nicht so abweisend! Was kann ich tun, um Ihr Wohlwollen zurückzuerlangen?“
Ich hob die Brauen. In letzter Zeit hatte Andrew mich manchmal gelangweilt. Seine unkonventionelle Art, die mich zuerst so fasziniert hatte, gefiel mir immer weniger. Ich hatte nie beabsichtigt, die Gesellschaft gegen mich aufzubringen. Einige der ungeschriebenen Gesetze erschienen mir sinnlos oder viel zu streng. Trotzdem würde ich mich ihnen unterwerfen, um nicht zu einer Ausgestoßenen zu werden. Andrew hingegen schien es manchmal geradezu darauf anzulegen, die Menschen gegen sich aufzubringen.
Ich schenkte ihm ein Lächeln. „Gibt es etwas Neues von Emma Callum und ihrem italienischen Adeligen?“
„Leider nicht. Die Familie sorgt dafür, dass nichts an die Öffentlichkeit dringt.“
„Das macht mich neugierig. Nun, vielleicht kann ich Emma in Italien einen Besuch abstatten.“
„Sie planen eine Italienreise?“
„Nein, nein. Den Winter über werde ich wohl in England bleiben. Und im Frühling möchte ich Griechenland kennenlernen.“
„Ah, Sie wollen einige Wochen in der Villa auf Santorin verbringen?“
„Ja. Sind Sie einmal dort gewesen?“ Irritiert schaute ich zu Arthur hin, der sich noch immer mit Philips Büchern beschäftigte.
„Mehrmals“, erklärte Andrew. „Wenn es Ihnen recht ist, würde ich Ihnen gern die Reisevorbereitungen abnehmen.“
„Danke. Aber Philip hat Hargreaves gebeten, sich um alles zu kümmern.“
„Tatsächlich? Wie merkwürdig, da sie sich doch in Afrika so gestritten haben.“
„Davon wusste ich nichts.“
„Es war eine sehr unschöne Auseinandersetzung“, mischte Arthur sich ein.
„Kurz bevor Philip krank wurde, haben sie sich regelrecht angeschrien“, setzte Andrew hinzu. „Alle konnten hören, wie zornig die beiden waren. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich Sie noch einmal vor Hargreaves warne. Irgendetwas mit ihm stimmt nicht.“
7. September 1887, Santorin
Hargreaves ist eingetroffen und hat ein paar Flaschen Port mitgebracht. Haben uns gestern zum alten Vulkan übersetzen lassen. Frage mich, ob unter der Asche Schätze wie in Pompeji verschüttet liegen.
Nächste Woche werden wir Delphi besuchen. Man soll dort noch viele antike Stücke kaufen können. Allerdings werden sie wohl von geldgierigen Männern, die sich nicht im Geringsten für die Antike interessieren, einfach mit allen Mitteln aus der Erde geholt. Eine wissenschaftliche Untersuchung der Gegend würde zweifellos mehr an Erkenntnissen und an Kunstwerken zutage fördern.
19. KAPITEL
Am nächsten Tag erhielt ich Post von Cécile, die ich gebeten hatte, Nachforschungen über Philips Apollo-Büste anzustellen. Aufgeregt erbrach ich das Siegel und faltete das dicht beschriebene Blatt auseinander.
Meine liebe Kallista,
nachdem ich Ihren Brief gelesen hatte, war ich sehr besorgt. Ich hatte so sehr gehofft, Sie hätten inzwischen Ihr krankhaftes Interesse an Philip überwunden! Ma chère, Ihr Gatte ist tot, und die Verstorbenen soll man ruhen lassen.
Trotzdem habe ich mich natürlich bemüht, Ihre Bitte um Auskunft bezüglich der Apollo-Büste zu erfüllen. Und so habe ich eine faszinierende Woche damit verbracht, in den hiesigen Kunstmarkt einzutauchen. Unglaublich, welch seltsamen Menschen man da begegnet! Künstler, deren Werke selbst den größten Kenner der Antike täuschen würden, geldgierige Händler, schmutzige kleine Lügner und skrupellose und enorm reiche Käufer, die alles tun würden, um in den Besitz eines bestimmten Objekts zu gelangen.
Wie Sie sicher wissen, ist es nicht schwierig, eine gute Kopie von all den Stücken zu finden, die im Museum – sei es hier oder in London – ausgestellt sind. Also streute ich das Gerücht, ich sei auf der Suche nach einer Nachbildung der Apollo-Büste des Praxiteles. Es dauerte nicht lange, bis ein Monsieur LeBlanc
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