Todes Kuss
von einem Gentleman zu akzeptieren, mit dem ich nicht verlobt war und mit dem ich mich auch nicht zu verloben gedachte. Ich überlegte kurz, ob Andrew falsche Schlüsse ziehen würde, wenn ich das Kästchen dennoch annahm. Nein, ihm bedeuteten die gesellschaftlichen Konventionen so wenig, dass ich wohl kein Risiko einging. Also öffnete ich das Päckchen.
Es enthielt eine Bronzemünze mit dem Porträt Alexanders des Großen.
„Wie wunderbar“, hauchte ich. „Wo, um alles in der Welt, haben Sie diesen Schatz gefunden?“
„In einem staubigen Laden in Bloomsbury. Ich wusste gleich, dass die Münze Ihnen gefallen würde. Und mein Vater war damit einverstanden, sie Ihnen als kleinen Dank zu überlassen.“
„Bitte, richten Sie ihm aus, dass ich mich sehr gefreut habe.“
Als Andrew sich wenig später verabschiedete, unterzog ich meine Gefühle für ihn einer eingehenden Prüfung. Ich hatte sein Geschenk angenommen, würde jedoch nicht zulassen, dass er daraus irgendwelche Rechte ableitete. So viel stand fest. Dass er leidenschaftlich in mich verliebt war, glaubte ich nicht. Aber ich wusste nicht wirklich, was er für mich empfand. Ich jedenfalls liebte ihn nicht und würde ihn wohl auch nie lieben. Und ich hatte nicht vor, falsche Hoffnungen zu wecken. Denn binden wollte ich mich vorerst auf keinen Fall. Wahrscheinlich würde ich nicht wieder heiraten. Wenn aber doch, dann nur einen Mann, den ich von ganzem Herzen liebte. Dieser Mann konnte Andrew niemals sein. Deshalb durfte ich ihm nie wieder gestatten, mich zu küssen.
Ich begann, meine Vorsätze in die Tat umzusetzen. Wenn Andrew mich einlud, lehnte ich meistens ab. Wenn er mich besuchen kam, erfand ich dringende Pflichten, die mir nicht gestatteten, mich längere Zeit mir ihm zu unterhalten. Trafen wir uns zufällig auf Einladungen, so sorgte ich dafür, dass wir nie allein waren.
Eines Abends allerdings lud ich ihn und seinen Bruder zum Dinner ein. Ich wollte unbedingt herausfinden, ob Arthur beabsichtigte, Arabella einen Antrag zu machen. Während des Essens ergab sich jedoch keine Gelegenheit, das Gespräch darauf zu bringen. Erst als wir später gemeinsam in der Bibliothek saßen, meinte ich: „Ich habe Arabella gestern getroffen. Sie hat viel von Ihnen gesprochen.“
„Eine sympathische junge Dame“, war alles, was Arthur dazu einfiel.
„Sehen Sie sie oft?“, hakte ich nach.
„Hin und wieder.“
Takt und Zurückhaltung waren hier offenbar nicht angebracht. Also sagte ich: „Ich habe mich gefragt, ob es richtig ist, Arabella in ihren Gefühlen für Sie zu bestärken.“
„Ich kann Ihnen versichern, dass ich die besten Absichten hege, Lady Ashton.“ Arthur trat an eines der Bücherregale und zog einen Band heraus. „Ovid“, stellte er fest. „Stehen alle griechischen Werke hier?“
„Ovid war ein Römer“, korrigierte ich ihn. Zorn brannte in mir, weil mir die Art, wie er über Arabella sprach, absolut nicht gefiel.
„Dürfen wir um ein Glas Port bitten?“, mischte Andrew sich ein. Anscheinend wollte er verhindern, dass es zu einer Auseinandersetzung kam.
„Natürlich, gern.“ Ich läutete nach Davis, musste aber schockiert zur Kenntnis nehmen, dass Andrew nicht wartete, bis ich dem Butler Anweisungen gab. Stattdessen forderte er selbst Davis auf, eine Karaffe mit Port und Gläser zu bringen.
Höflich wie immer, deutete Davis eine Verbeugung an und wandte sich dann mir zu: „Port für die Gentlemen und auch für Sie, Mylady?“
„Ja, bitte.“ Ich wartete, bis er den Raum verlassen hatte und sagte dann zu Andrew: „Ich mag es nicht, wenn Gäste meinem Personal Befehle erteilen.“
Er begann zu lachen, und seine blauen Augen blitzten amüsiert. „Sie waren in den letzten Tagen so kühl und abweisend zu mir, Emily, dass ich mir nun jede nur mögliche Freiheit herausnehmen werde. So kann ich hoffentlich die eine oder andere temperamentvolle Reaktion bei Ihnen hervorrufen. Am liebsten wäre mir natürlich, wenn ich Sie noch einmal küssen dürfte.“
Wie konnte er so etwas in Anwesenheit seines Bruders sagen? Ich errötete vor Verlegenheit, kam jedoch nicht dazu, Andrew zu tadeln, weil Davis mit dem Port erschien.
„Wie hat Ihnen Ashton Hall gefallen?“ Andrew wechselte das Thema.
„Es ist ein beeindruckender Besitz …“
„… mit einer riesigen Bibliothek und einem gut ausgestatteten Musikzimmer. Dabei fällt mir ein, dass ich Ihnen gern wieder einmal beim Klavierspielen zuhören würde.“
„Ich möchte heute
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