Todesacker
Sie gerade etwas gesagt?«
Sutton starrte Elaine an, da ihn ihre Anwesenheit verwirrte. Er hatte überhaupt nicht bemerkt, dass sie das Zimmer betreten hatte. Er hatte geglaubt, woanders zu sein, weit weg, beinahe in einem anderen Leben.
»Das Lukas-Evangelium«, sagte er. »Kapitel siebzehn, Vers siebenunddreißig.«
»Ich verstehe, Raymond. Sind Sie schon fertig fürs Abendessen?«
»Die King-James-Version. Natürlich.«
»Dann hole ich es, ja?«
»Tun Sie, was Sie wollen. Das macht jetzt sowieso keinen Unterschied mehr.«
5
E in Team der Universität Sheffield hatte die Ausrüstung ausgeladen: Schaufeln und Spachtel, Maschendrahtsiebe zum Aussieben von Knochenstücken aus der Erde, Beweisbeutel, Maßbänder und orangefarbene Markierungen. Einer der Studenten filmte bereits mit einer Videokamera, um die Position der sterblichen Überreste aus jeder Perspektive zu dokumentieren, ehe sich das Team ihnen näherte.
Fry wusste, dass das Exhumieren einer Leiche niemals so einfach war, wie sie zu begraben. Wenn ein Leichnam ungeschützt im Boden vergraben wurde, bildete er eine enge Verbindung mit dem Erdreich. Fleisch verrottete, Stoff löste sich auf, Schädel, Wirbelsäule und Becken betteten sich in die Erde ein. Ein Laie hätte bald aufgegeben, den gesamten Leichnam freizulegen, auch wenn dieser nur ein Jahr lang vergraben gewesen wäre. Wenn jemand eine Leiche ausgrub, um sie anderswo erneut zu vergraben, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein paar Stücke zurückblieben.
»Wir haben die Erlaubnis bekommen, dem Anthropologen ein paar Minuten über die Schulter zu schauen«, erklärte Detective Inspector Hitchens. »Aber dann müssen wir uns fernhalten. Dr. Jamieson sagt, dass er sich vor Spekulationen schützen möchte.«
»Vor wessen Spekulationen?«
»Vor unseren, glaube ich.«
Der forensische Anthropologe hatte die Aufgabe, sterbliche Überreste zu bergen und Alter, Geschlecht, Statur, ethnische Abstammung, Todeszeitpunkt sowie eventuelle körperliche Traumata zu bestimmen, die auf die Todesursache hindeuteten. Darüber hinaus war er nicht an den Ermittlungen beteiligt.
Fry lachte. »Dürfen wir ihn überhaupt ansprechen?«
»Sie könnten ihm wahrscheinlich frohe Weihnachten wünschen.«
Als der Anthropologe das Lachen hörte, blickte er mit argwöhnischem Gesichtsausdruck von der Ausgrabungsstelle auf. Sein Kopf war kahl und blass und hatte beinahe dieselbe Farbe wie der Schutzanzug aus Papier, den er trug. Auf seinem Scheitel funkelten Tropfen. Ob es sich dabei um Regen oder Schweiß handelte, ließ sich nicht beurteilen.
»Wie läuft’s, Doktor?«, rief Hitchens.
»Mit gemischtem Erfolg, fürchte ich. Trockenes Erdreich hätte den Leichnam besser konserviert. Aber das hier ist, na ja...« Er schöpfte eine Handvoll Schlamm auf, der ihm durch die Finger rann.
»Zu feucht?«
»Genau. Viel zu feucht.«
»Aber es gibt auch gute Nachrichten, wenn ich Sie richtig verstanden habe?«
»Na ja, wissen Sie, auf einer abgelegenen Farm gibt es jede Menge Möglichkeiten, um eine Leiche loszuwerden. Wenn man das Ziel hat, sterbliche Überreste unidentifizierbar zu machen, ist es die langsamste und am wenigsten aussichtsreiche Methode, sie zu vergraben.«
»Es geht viel schneller, wenn man den Leichnam einfach irgendwo liegen lässt, sofern das möglich ist«, schlug Cooper vor.
»Ja. Woher wussten Sie das?«
»Jeder Viehfarmer weiß, dass von einem toten Schaf nach einem Monat nur noch das Skelett übrig ist, wenn man es im Sommer im Freien liegen lässt.«
»Genau. Das Vergraben eines Leichnams verlangsamt den Verwesungsprozess. Eine tief vergrabene Leiche braucht bis zu acht Mal länger, um zu verwesen, als eine Leiche, die an der frischen Luft liegt. Da das Opfer in diesem Fall vergraben und in Plastikfolie eingewickelt wurde, kann es womöglich sogar noch identifiziert werden.«
An die Kriminaltechniker wurde Schutzkleidung verteilt: Overalls, Haarhauben, Handschuhe und Überschuhe. Mikroskopisch kleine Spuren übertrugen sich so schnell, dass sie ebenso leicht vom Tatort fortgetragen werden konnten, wie sie dorthin gelangt waren.
Neben dem Grab war für die Wissenschaftler ein Bereich abgesperrt worden, in dem sie arbeiten konnten, ohne das Grab selbst stärker zu beeinträchtigen als nötig. Das Erdreich musste in ungefähr fünfundzwanzig Zentimeter dicken Schichten abgetragen und anschließend durch Siebe mit unterschiedlicher Dichte geschüttelt werden, um Beweismaterial
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