Todesacker
Boden herauslöste. Sie hatte ein klares Bild von Jamie Ward vor Augen, wie dieser im Matsch kauerte und geschockt den Gegenstand anstarrte, den er im Graben gefunden hatte. Als er geschrien hatte, war jemand zu ihm hingelaufen, in der Meinung, er habe sich verletzt, während Nikolai, der Polier, im Hintergrund geflucht hatte. Alles an diesem Bild war völlig klar, bis auf eine Sache.
»Gavin, hast du schon eine Liste mit den Namen und Adressen der Bauarbeiter bekommen?«
»Ich hoffe, du möchtest sie nicht auf Englisch haben.«
Fry überflog die Liste, die er ihr reichte. Ihr war klar, was Gavin meinte – die meisten Namen klangen osteuropäisch. Sie war mit den verschiedenen Nationalitäten in diesem Teil der Welt nicht vertraut genug, um beurteilen zu können, woher sie genau stammten, doch glücklicherweise hatten die Polizisten, die die Liste erstellt hatten, die jeweilige Staatsangehörigkeit ebenfalls vermerkt. Polnisch, tschechisch, slowakisch. Bis auf zwei, die irische Staatsbürger waren, sprach keiner der Bauarbeiter Englisch als Muttersprache.
Dann korrigierte sich Fry. In Irland wurde Gälisch gerade wiedereingeführt. Die beiden Iren betrachteten Englisch also womöglich auch nicht als ihre Muttersprache. Es war ratsam, in solchen Punkten Sorgfalt walten zu lassen. Sie wollte nicht in einen Kurs gesteckt werden, um ihre interkulturelle Kompetenz zu verbessern.
»Einige dieser Männer geben dieselbe Adresse in Macclesfield an«, stellte sie fest.
»Ja, das ist so eine Art Wohnheim oder Pension für Arbeiter«, sagte Murfin. »Dem Polier zufolge sind die meisten von ihnen bei ein und derselben Agentur angestellt, die sie landesweit immer dorthin schickt, wo es gerade Arbeit gibt. Momentan wohnen sie in Macclesfield. Morgen auf dem Mond.«
»Gavin, trommle ein paar Uniformierte zusammen und unterhalte dich noch einmal mit allen diesen Männern. Ich will wissen, wer von ihnen in der Nähe von Jamie Ward gearbeitet hat, als der die Leiche entdeckt hat. Jamie behauptet, dass einer von ihnen zu ihm hingerannt ist, als er geschrien hat, aber er kann sich nicht mehr erinnern, wer. Das würde ich gerne herausfinden.«
»Okay, kann ich machen.«
Murfin trottete mit betrübtem Gesichtsausdruck wieder davon. Fry schien das nicht zur Kenntnis zu nehmen.
»Diese Frau macht mir Sorgen«, sagte sie zu Cooper. »Gar nichts über sie zu wissen, ist ziemlich frustrierend. Das bedeutet, dass wir keine ihrer Verbindungen rekonstruieren und keine Theorien über ihren Tod aufstellen können. Möglicherweise hat sie Selbstmord begangen oder ist durch einen Unfall ums Leben gekommen. Und dann hat irgendjemand sie begraben.«
»Absichtlich?«, fragte Cooper.
Fry lachte. »Kann man denn jemanden versehentlich begraben?«
»Auf einer Farm? Eventuell schon. Man kann an der falschen Stelle stehen und unter einer Anhängerladung Silofutter oder Jauche begraben werden. Auf Farmen kommen immer wieder Menschen ums Leben. Aber in der Regel merkt man, wenn so etwas passiert. Selbst wenn man in die falsche Richtung geschaut oder wegen des Traktorenlärms keinen Schrei gehört hat, würde man schnell feststellen, dass jemand fehlt. Oder etwa nicht?«
Fry starrte auf den Boden. »Das könnte davon abhängen, wer begraben wurde. Diese Frau hat anscheinend niemand vermisst, oder?«
Cooper nickte. »Weißt du, auch wenn alle das Gegenteil behaupten, ich bin fest davon überzeugt, dass in Rakedale jeder jeden kennt.«
»Ja, da stimme ich zu. Zumindest bedeutet das, dass wir unsere Zeit nicht damit verschwenden müssen, nach Verbindungen mit den Suttons zu suchen. Jemand, der keine Verbindung zu ihnen hatte, würde hervorstechen.«
»Was bedeutet, dass auch alle anderen eine potentielle Verbindung zu dem Opfer haben. Alle Leute, mit denen wir gesprochen haben, könnten irgendwann auf der Pity Wood Farm gewesen sein.«
»Aber wir haben noch eine völlig andere Gruppe von Personen«, sagte Fry. »Offenbar sind auf der Pity Wood Farm jahrelang Gastarbeiter ein und aus gegangen. Wer die waren, scheint niemand zu wissen.«
»Wie gehen wir vor, um die Farm-Gastarbeiter aufzuspüren?«
»Das hängt von der Qualität der Akten ab, Ben.«
»Schlecht bis nicht vorhanden, würde ich vermuten.«
»Dann könnte es sich um illegale Einwanderer handeln«, sagte Fry. »Nach Derbyshire sind in den vergangenen Jahren etliche Flüchtlinge gekommen. Überwiegend aus Bosnien, Kroatien, Afghanistan, dem Irak, Somalia … Gab es nicht in Alfreton
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