Todesacker
selbst gehabt. Sie fühlte sich in der E-Division wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ausgerechnet Derbyshire. Sie war in der Stadt zu Hause, weit weg von diesen Menschen, die sie niemals verstehen würde und einfach nicht ertrug.
Es war die Tatsache, dass sie es aus dem Mund von jemand anderem gehört hatte, die sie wie ein Schlag in die Magengrube getroffen hatte, denn eigentlich hatte Hitchens nur das Offensichtliche ausgesprochen. Trotzdem hasste sie die Vorstellung, dass Detective Superintendent Branagh an diesem Vormittag in einer Besprechung gesessen und den Gedanken ihren Vorgesetzten gegenüber geäußert hatte. Sie verabscheute es, wenn jemand wie Branagh sich einmischte, ihre Personalakte las und sie beurteilte. Das war natürlich unlogisch, aber deshalb nicht weniger schmerzhaft.
»Oh, das braucht Ihnen nicht leidzutun, Sir«, sagte sie leise. »Das braucht Ihnen überhaupt nicht leidzutun.«
Die Angst davor, eine Außenseiterin zu sein, hatte sie ihr ganzes Leben lang verfolgt – in der Schule, in verschiedenen Heimen im Black Country und sogar an der Universität von Birmingham, wo sie Strafrechtspflege und Polizeiwesen studiert hatte. Als Kind war ihr nicht bewusst gewesen, dass sich jeder Mensch davor fürchtete, ausgegrenzt zu werden und kein Mitglied der Gemeinschaft zu sein. Sie hatte geglaubt, es sei eine Charakterschwäche von ihr, die sie dazu trieb, bei anderen Anerkennung zu suchen.
Die Erinnerung an ihre Teenagerzeit, als sie in den Korridoren ihrer Gesamtschule herumgelungert und versucht hatte, sich irgendeiner Gruppe anzuschließen, ließ sie zusammenzucken. Erst als Erwachsene war ihr bewusst geworden, dass es den meisten Jugendlichen genauso erging. Einige wünschten sich so sehr, irgendwo dazuzugehören, dass sie sich jeder x-beliebigen Clique anschlossen, die bereit war, sie aufzunehmen.
Der Wunsch, der Herde anzugehören, war ein Urinstinkt – vermutlich der tiefste und stärkste Instinkt überhaupt.
»Falls Sie tatsächlich gehen sollten, Diane«, sagte Hitchens, »werden wir Sie vermissen.«
»Sie nannten ihn Billy«, sagte Cooper in dem Augenblick, als Fry die Einsatzzentrale betrat. »Den Schreienden Billy Sutton. Natürlich war er wahrscheinlich gar kein Sutton. Er hätte jeder sein können. Einfach jeder, Diane.«
Fry zuckte zusammen, als habe jemand auf sie geschossen. »Wovon, zum Teufel, sprichst du, Ben?«
»Der Wirt des Dog Inn hat etwas von einem Billy gesagt. Zuerst dachte ich, er meint damit einen weiteren Bruder oder einen Sohn. Aber es gibt keinen Hinweis auf einen William Sutton. Also muss er das sein.«
Sie hatte Cooper noch nie so aufgeregt erlebt. Er lief im Büro umher wie ein übermütiger Welpe, der jeden ankläffte, der ihm zuhörte. Doch worüber faselte er?
»Ben, immer mit der Ruhe. Drück dich klarer aus.«
Cooper wirkte erhitzt und atemlos, als sei er gerannt. »Das ist wie Dickie von Tunstead, weißt du. Oben im Norden der Grafschaft, in der Nähe von Chapel-en-le-Firth, gibt es eine Farm namens Tunstead Farm. Und der ist ziemlich berühmt. Es ist nicht ganz sicher, ob er von einem Mann oder von einer Frau stammt, aber bei den Einheimischen war er immer als Billy bekannt. Ein früherer Eigentümer der Farm wurde bei einem Besitzstreit in seinem Bett ermordet...«
Als er innehielt, um Luft zu holen, hob Fry die Hand wie ein Verkehrspolizist und sprach lauter, um ihn zu übertönen.
»Ben, Schluss jetzt!«
»Den Suttons muss es allerdings gelungen sein, das unter Verschluss zu halten«, sagte er. »In der Gegend war es zwar bekannt, aber anscheinend wollte niemand darüber sprechen. Aus Aberglauben, natürlich. Leichtfertiges Gequatsche, wer den Teufel beim Namen nennt, all diese Dinge.«
»Du lieber Himmel, würdest du jetzt bitte aufhören? Hör auf!«
»Der Schreiende Billy hat angeblich...« Cooper verstummte und sah sie verwundert an. »Warum schreist du mich denn so an, Diane?«
Fry nahm seinen Arm. »Ben, setz dich hin und sei mal kurz still. Atme ein paar Mal tief durch.«
Er machte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch sie fauchte ihn an, und er machte ihn schnell wieder zu. Dann setzte er sich hin.
»Okay, schon besser«, sagte sie.
»Darf ich jetzt was sagen?«
»Sammle erst mal deine Gedanken. Ich habe den Eindruck, dass du mir etwas erzählen möchtest, was du für wichtig hältst. Aber bislang hast du kein einziges sinnvolles Wort herausgebracht. Nicht ein einziges.«
»Oh. Bist du sicher?«
»Es gab jemanden,
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