Todesahnung: Thriller (German Edition)
haben, ihm gegenüber verpflichtet zu sein. In seinem tiefsten Innern wird er das Gleiche fühlen, auch wenn er es nie zugeben würde. Das ist ein weiterer Grund, warum ich ihn liebe. Ja, das tue ich.
Ich suche nach weiteren Motiven für mein Portfolio und klicke drauflos, sobald ich etwas Tolles entdecke. Und heute - ja! - sehe ich lauter tolle Sachen.
Ein Stück weiter auf der Madison Avenue entdecke ich einen Mann mit Scheitelkäppchen, der die Scheiben eines Restaurants putzt. Sein verärgertes Gesicht spiegelt sich im Glas, das er mit seinem Fensterwischer abgezogen hat.
Voller Mitgefühl banne ich dieses fantastische Arbeiterklasse-Doppelbild auf meinen Film.
Dann komme ich an einer Frau vorbei, die vor einem Ledergeschäft raucht. Sie ist eindeutig eine Verkäuferin, die Pause macht, ihre gekrümmte Haltung und der abwesende Blick sind Beweis genug. Ich schieße zwei Bilder, eins von ihr und eins von ihrem Schatten.
Ich lächle hinter meiner Kamera. Ein echt gutes Motiv!
So gut, dass ich vergesse, wie weit ich schon gelaufen bin.
Bevor ich es merke, bin ich nur noch einen Block vom Falcon Hotel entfernt.
So was Bescheuertes, sage ich mir. Noch einmal zu diesem Hotel zu gehen ist noch schlimmer, als zur Arbeit zurückzukehren. Vor allem weil das Falcon und ich eine gemeinsame Geschichte haben. Freundlich ausgedrückt.
Warum bewegen sich meine Beine also weiter?
Ich brauche mich nur umzudrehen und zur Fifth Avenue zu gehen. Ein Kinderspiel.
Trotzdem tue ich es nicht, als würde ich wieder von einem Sog erfasst werden, der ein Fortlaufen verhindert.
Hey, bist du völlig durchgeknallt, Kristin?
Nein, bin ich nicht. Ich gehöre zu den normalsten Menschen, die ich kenne. Das macht die Sache umso seltsamer.
Unerklärlicherweise fühle ich mich vom Falcon und dem, was an diesem Morgen passiert ist, angezogen.
Aber was ist dort eigentlich passiert?
Ich weiß es doch gar nicht.
Ich muss mir die Nachrichten ansehen. Ich muss auch die Bilder entwickeln. Aber zuerst muss ich etwas anderes tun.
Fortlaufen.
Und zwar rasch. Genau das tue ich jetzt.
Na also, geht doch! Ich habe mich wieder unter Kontrolle.
11
Kurz nach fünf Uhr abends stoße ich hastig meine Wohnungstür auf.
Ich müsste eigentlich erschöpft sein. Penley hat mich jedes Teil ihres Silberbestecks für sechzehn Personen putzen lassen. Dazu gehören nicht eine, nicht zwei, sondern drei Salatgabeln in unterschiedlicher Größe. Drei - das ist doch zum Schreien!
Immer wenn sie mir über die Schulter gespäht hat, ob ich auch ja keinen Fleck übersehe, habe ich mir ausgemalt, ein Teil nach dem anderen in sie hineinzubohren.
Die Sonnenseite - wie immer - machten Dakota und Sean aus. Nachdem ich am Nachmittag meine beiden kleinen Schätze von der Schule abgeholt hatte, spazierten wir durch den Central Park und spielten auf der Schafswiese über eine Stunde lang Fangen und »Kindermädchen in der Mitte«. Wie gesagt, ich müsste eigentlich erschöpft sein.
Bin ich aber nicht. Ich bin viel zu aufgeregt, viel zu angespannt, um müde zu sein. Ich brenne darauf, herauszufinden, was am Morgen im Falcon Hotel passiert ist. Ich muss dieses kleine Geheimnis lüften.
Ich stelle meine Tasche ab, schleudere meine flachen Schuhe von den Füßen und schnappe mir ein Vitamingetränk aus dem Kühlschrank. Der nächste Gang führt mich zum Fernseher, wo ich die Nachrichten einschalte.
»Guten Abend, meine Damen und Herren, hier sind die Nachrichten des heutigen Tages«, beginnt der perfekt frisierte Sprecher. Echt, er sieht aus, als trüge er einen Helm aus Haaren.
Er und seine Kollegin wechseln sich ab mit dem Verlesen der »wichtigsten Meldungen des Tages«. Ein Wasserrohrbruch im Flatbush-Viertel von Brooklyn. Wieder eine tödliche Messerstecherei in Queens. Ein Taxi, das auf der Wall Street über den Bordstein ratterte und auf den Stand eines sehr wütenden Hotdog-Verkäufers prallte.
Aber nichts über das Falcon.
Wie kann das sein?
Wenn der Unfall mit einem fahrerflüchtigen Taxi, bei dem ein paar Hotdogs draufgegangen sind, als aktuelle Nachricht gilt, was sind dann vier Tote in einem Hotel?
Oder sind die vier Toten schon alte Nachrichten? Vielleicht war das, was ich an diesem Morgen gesehen habe, die Hauptmeldung der Mittagsnachrichten, und jetzt ist man zu anderen Leidensgeschichten übergegangen. Schließlich leben wir in einer Großstadt. Hier herrschen Chaos und Elend ohne Ende.
Ich schalte auf einen
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