Todesakt: Thriller (German Edition)
stieß auf mehr als eine Stelle, an der Gant von tätlichen Übergriffen auf der Straße und von seiner Angst schrieb, das Haus zu verlassen. Nach seiner Verhaftung hatte er monatelang an Alpträumen gelitten. Auch die Ratschläge, die Paladino ihm während des Prozesses gegeben hatte, waren hier vermerkt – offenbar hatten diese Gedanken Gant aufgemuntert und ihm Hoffnung gemacht.
Lena brauchte etwa zwanzig Minuten, um das gesamte Buch durchzulesen. Danach blickte sie nachdenklich aus dem Fenster. Cobb hätte bestimmt behauptet, dass der Inhalt des Buches erstunken und erlogen sei und Gant das Schreiben aufgegeben habe, da seine Aufzeichnungen nur den Versuch eines psychotischen Killers darstellten, sich als Unschuldslamm zu präsentieren.
Und der Großteil der Kollegen hätte Cobb vermutlich zugestimmt.
Und dennoch hatten Gants Worte etwas Aufrichtiges an sich. Wie das Foto neben Lilys Bett ließen sie den Fall in einem ganz neuen Licht erscheinen. Lena wünschte nur, sie hätte auch etwas über seine Treffen und die Zusammenarbeit mit Johnny Bosco gefunden. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass Bosco keinen Finger krummgemacht hätte, wenn er sich nicht einen Vorteil davon versprochen hätte. Als Lena das Tagebuch noch einmal betrachtete, kam sie zu dem Schluss, dass diese Auslassung nur eines zu bedeuten hatte: Bosco war später dazugestoßen; Bosco und Gant hatten erst in den letzten beiden Wochen ihres Lebens Kontakt gehabt.
Lena sah auf die Uhr. Kurz vor sieben. Als sie zum Telefon griff, um Orth anzurufen, war sie in Gedanken noch immer bei Gants Leben nach dem Prozess. Wie war es wohl gewesen, in seiner Haut zu stecken? Und wie entsetzlich, das alles durchmachen zu müssen, falls er tatsächlich unschuldig gewesen war?
Orth meldete sich nach dreimaligem Läuten.
»Ich wollte Sie gerade anrufen, Lena.«
»Sehr gut«, erwiderte sie. »Dann haben Sie also was gefunden.«
Orth war ein leitender Mitarbeiter der Spurensicherung, der in Lenas letztem Fall eine wichtige Rolle gespielt hatte. Sie waren ein gutes Team. Orth war zwar auch in den Skandal um die verschwundenen DNA-Proben im Prozess gegen Gant verwickelt worden, doch für Lena handelte es sich um einen klaren Fall von »mitgefangen, mitgehangen«. Orths einzige Beteiligung an der Krise bestand in seiner Rolle als Vorgesetzter. Lena kannte ihn als Meister seines Fachs und hatte absolutes Vertrauen zu ihm.
»Wir haben wirklich etwas«, antwortete er. »Das Kokain in Hights Haus stimmt einhundertprozentig mit dem im Club 3 AM überein. Die Proben sind chemisch identisch und genau zu denselben Anteilen verschnitten. Höchste Qualität, etwas so Gutes hatten wir schon lange nicht mehr.«
Lena lief im Zimmer hin und her.
»Also war Hight entweder im Club oder hat beim selben Dealer gekauft. Was ist mit den Fingerabdrücken auf den Hundertdollarscheinen?«
»Fehlanzeige«, entgegnete Orth. »Aber dafür haben wir Blut entdeckt, Lena. Und zwar an Hights linker Schuhsohle.«
»Genug, dass man damit was anfangen kann?«
»Wenn er in diesem Zimmer war, kriegen wir es raus, das schwöre ich Ihnen.«
Das war zwar nicht so beweiskräftig wie die Pistole, aber zumindest ein Fortschritt. Vielleicht reichte es ja, um Hight davon zu überzeugen, dass ein Geständnis die einfachste Lösung war. Falls er Blut von einem der Opfer an den Schuhen hatte, gab es dafür nur eine einzige Erklärung.
»Sind Sie heute Nachmittag im Büro?«, fragte sie.
»Den ganzen Tag. Warum?«
»Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
Gerade ging ein zweiter Anruf ein. Lena warf einen Blick auf das Display.
»Ich muss los, Marty. Bis heute Nachmittag.«
Sie nahm den Anruf entgegen. Es war Buddy Paladino, der sie um zehn nach sieben Uhr morgens von zu Hause aus anrief.
»Ein bisschen früh, finden Sie nicht?«, meldete Lena sich.
Paladino schwieg im ersten Moment, dann ergriff er mit einschmeichelnder Stimme das Wort. »In der Stadt geht ein Gerücht um, Detective Gamble. Es breitet sich aus wie ein Lauffeuer, und die Leute werden allmählich neugierig.«
»Was für ein Gerücht?«
»Dass Sie die Ermittlungen im Fall Lily Hight wieder aufgenommen haben.«
Der Satz hing in der Luft. Es folgte ein bedeutungsschweres Schweigen. Lena ging zur Theke und setzte sich auf einen Barhocker. Sie hatte Paladino im letzten Jahr in einer persönlichen Sache geholfen und wusste, dass er ihr dafür einen Gefallen schuldete. Allerdings machte ihn das nicht weniger gefährlich. Es hieß nicht, dass
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