Todesakt: Thriller (German Edition)

Fachmann, der meiner Ansicht nach den Respekt der Behörden genießt und auf den die Staatsanwaltschaft sicher hören würde. Einen Mann, dem alle vertrauen.«
    Lena klappte hastig die Akte auf und überflog den Bericht. Als sie feststellte, dass der Test von Cesar Rodriguez durchgeführt worden war, wuchs ihr Entsetzen. Bis zu seiner Pensionierung im vergangenen Jahr hatte Rodriguez nämlich als der beste forensische Psychophysiologe des SID gegolten. Im Laufe der Ermittlungen wegen der berüchtigten Romeo-Morde vor einigen Jahren hatte man Rodriguez eigens dazu auserkoren, die Unschuldigen aus der Liste der Verdächtigen herauszufiltern.
    Paladinos nächste Worte bekam Lena nicht mit.
    Sie las den Bericht weiter und musste schwer schlucken. Rodriguez hatte Jacob Gant fünfzehn Fragen gestellt – und nichts, aber auch gar nichts hatte darauf hingewiesen, dass er log. Die Fragen waren eindeutig und deckten alle einschlägigen Punkte ab. Nachdem Lena die Ergebnisse studiert hatte, blätterte sie zu Rodriguez’ Schlussfolgerungen zurück: Jacob Gant war in Lily Hight verliebt gewesen. Seine Wut und Eifersucht hatten zwei Wochen, und zwar wirklich nur zwei Wochen lang, angedauert. Am Nachmittag ihres Todes hatte er sich mit ihr versöhnt. Er hatte am frühen Abend mit ihr geschlafen. Und er hatte ihr kein einziges Mal Schmerzen zugefügt, geschweige denn sie geschlagen, sie vergewaltigt oder sie erstochen. Als er Lily Hight am besagten Abend verlassen hatte, hatte sie quicklebendig in der Küche gestanden.
    Hätte Lena die Resultate dieses Lügendetektortests in die Hände bekommen, sie hätte Gant sofort auf freien Fuß gesetzt und sich nie wieder den Kopf über ihn zerbrochen – genauso wie jeder andere Detective, mit dem sie je zusammengearbeitet hatte.
    Sie blickte von dem Bericht auf und sah Paladino an, der Mühe hatte, seinen Zorn zu beherrschen und sich seine Erbitterung nicht anmerken zu lassen.
    »Haben Sie der Staatsanwaltschaft diesen Bericht vorgelegt?«, fragte Lena.
    »Ja«, erwiderte er leise. »Ich habe jedem der drei eine Kopie geschickt.«
    »Wann?«
    Er biss die Zähne zusammen.
    »Sechs Wochen vor Prozessbeginn.«

31
    Sie hatten es alle gewusst …
    Lena verließ die Filiale des Drogeriemarkts Rite Aid, Ecke Fifth Street und Broadway, riss das Päckchen Camel Lights auf und zündete sich eine Zigarette an. Als sie den Rauch in ihre Lunge einsog, spürte sie, wie ihr Körper sich dagegen wehrte. Doch Widerstand war zwecklos. Zumindest heute Abend. Sie zog noch einmal, diesmal kräftiger, blies den Rauch aus und stieg ins Auto. Nachdem sie die Klimaanlage auf volle Stärke eingestellt hatte, öffnete sie das Fenster einen Spalt weit und griff zum Mobiltelefon.
    Sie hatten gewusst, dass Gant die Wahrheit sagte, und einen Prozess gegen ihn angestrengt, obwohl ihnen klar gewesen war, dass sie den falschen Mann vor Gericht stellten. Einen Unschuldigen, der im Alter von vierzehn Jahren seine Mutter durch einen Mord verloren hatte; der einen zweiten Trauerfall, sprich, die Vergewaltigung und Ermordung von Lily Hight, verkraften musste. Eigentlich hätte man ihn auf freien Fuß setzen und von jeglichem Verdacht freisprechen müssen. Denn er hatte genug durchgemacht und es deshalb verdient, einfühlsam behandelt zu werden.
    Doch die Böswilligkeit gewisser Menschen kannte offenbar weder Grenzen noch Skrupel, der Gerechtigkeit Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
    Es war einzig und allein die Schuld von Higgins, Bennett und Watson, dass Jacob Gant seine letzten sechs Lebenswochen als Gejagter und Opfer eines aufgebrachten Mobs hatte verbringen müssen. Und ihretwegen hatte er schließlich mit ausgeschossenen Augen im Badezimmer eines Nachtclubs auf dem Fußboden sein Leben ausgehaucht.
    Ein Mensch mit einer Seele. Ein Mensch, der versucht hatte, den wahren Mörder zu finden, und zwischen den Winden verloren gegangen war.
    Lena zog noch einmal an ihrer Zigarette. Die Kompassnadel in ihrem Magen hatte sich um hundertachtzig Grad gedreht.
    Paladino hatte Higgins, Bennett und Watson die Ergebnisse des Lügendetektortests sechs Wochen vor Prozessbeginn zugeschickt. Inzwischen kannte Lena die drei gut genug, um sich denken zu können, wie die Sache gelaufen war. Wie Paladino gesagt hatte, hatten die Ereignisse vor dem Prozess eine ebenso große Bedeutung wie die Gerichtsverhandlung selbst. Higgins, Bennett und Watson war die Medienhysterie nicht entgangen. Die ganze Stadt war wegen des Mordes an Lily Hight in