Todesangst
wird.«
Jason Howard sank förmlich die Kinnlade herunter. Er versuchte, dem Mädchen in die warmen, glänzenden Augen zu sehen, um vielleicht darin lesen zu können. Er merkte, wie er rot wurde. Wie um alles in der Welt kam ein Mädchen, das halbnackt vor Männern herumtanzte, zu solch scharfsichtigem Einfühlungsvermögen? Er hatte sich immer etwas darauf eingebildet, Leute beurteilen zu können, das gehörte schließlich mit zu seinem Job. Als Arzt mußte er auch ein Gefühl für das Innenleben seiner Patienten haben. Warum aber war er sich so ungewiß in bezug auf Carol Donner, woher kam sein Eindruck, daß irgend etwas bei ihr nicht zusammenpaßte, nicht stimmte?
Carol blickte belustigt in sein rot gewordenes Gesicht und lachte los. »Warum lassen Sie sich nicht einfach fallen; entspannen Sie sich, und genießen Sie das Leben. Sie können Ihren Schutzschild fallen lassen - ich beiße schon nicht!«
»Also gut«, antwortete er, »ich will mir Mühe geben damit.«
Sie beschlossen, sich beim Abendessen an Lachs zu halten, der in einer verwirrenden Fülle verlockender Variationen angeboten wurde. Nach reiflicher Überlegung entschieden sie sich für eine im Teigmantel herausgebackene Variante, und um im passenden lokalen Rahmen zu bleiben, bestellte Howard dazu einen Chardonnay aus dem Staat Washington, den er überraschend gut fand. Irgendwann fiel ihm auf, daß er laut lachte - es war schon sehr lange her, daß er sich so gelöst gefühlt hatte. Zu diesem Zeitpunkt merkten sie auch, daß sie inzwischen allein im Speiseraum saßen.
Später in der Nacht lag Jason Howard im Bett, starrte zur dunklen Decke und war aufs neue verwirrt. Ihr Zubettgehen war eine Art Komödie gewesen - mit Badetüchern zur Verhüllung, dem Werfen einer Münze zur Entscheidung darüber, wer nun als erster ins Badezimmer dürfe, und dem nochmaligen Aufstehen, um das Licht auszumachen. Er war sich seiner Körperlichkeit lange nicht mehr so bewußt gewesen wie gerade jetzt. Er drehte sich auf die andere Seite und schaute zu Carol hinüber, deren Gestalt er im Dunkel mit Mühe noch erkennen konnte. Sie lag auf der Seite, und er vermochte ihr regelmäßiges Atmen vor dem Hintergrundgeräusch des Wasserfalls in der Nähe gerade noch zu hören. Sie lag offensichtlich in ruhigem Schlaf. Howard beneidete sie um die unkomplizierte Annahme ihrer eigenen Persönlichkeit und ihren ungetrübten Schlummer. Was ihn verwirrte, war nicht so sehr das Widersprüchliche in Carol Donners Persönlichkeit, sondern vielmehr die Tatsache, daß das Leben ihm wieder lohnend erschien. Und diese Tatsache war unzweifelhaft auf Carol Donner zurückzuführen.
14
Was das Wetter anging, blieb das Glück ihnen jedenfalls treu. Als sie am Morgen die Vorhänge aufzogen, funkelte der Fluß, als ob die Sonne auf Tausende von Diamanten fiele. Sobald sie ihr Frühstück beendet hatten, verkündete Carol Donner, daß sie heute eine Wanderung machen würden.
Wohlversehen mit Lunchpaketen vom ›Salmon Inn‹, befanden sie sich bald auf einem gut markierten Wanderweg den Cedar River entlang, auf dem ihnen Vögel und allerlei Kleingetier begegneten. Schon eine Viertelmeile hinter dem Hotel trafen sie auf den Wasserfall, den Carol erwähnt hatte. Es handelte sich dabei um eine Folge von Felsstufen, über die das Wasser jeweils etwa mannshoch herunterstürzte. Zusammen mit ein paar anderen Touristen standen sie auf einer hölzernen Aussichtsplattform und schauten beeindruckt auf das unter ihnen wild dahinbrausende Wasser. Unmittelbar zu ihren Füßen schoß plötzlich ein prächtig regenbogenfarbig gefärbter Fisch, gut einen Meter lang, aus dem Wasser heraus und sprang, entgegen allen Gesetzen der Schwerkraft, die erste Felsstufe hoch. Nur wenige Sekunden später überwand er mit einem gewaltigen Satz auch die zweite Felsstufe.
»Das ist ja unglaublich!« rief Howard aus. Er erinnerte sich zwar daran, gelesen zu haben, daß die Lachse die Strömung starker Stromschnellen überwinden könnten, aber auf die Idee, daß sie derartige Höhen zu überspringen vermochten, wäre er nie gekommen. Ebenso wie seine Begleiterin schaute er gebannt zu, wie einige weitere Lachse die Felsbarrieren hochsprangen. Er konnte über die gewaltigen körperlichen Kräfte, die die Tiere dabei entwickelten, nur staunen. Der Fortpflanzungstrieb, der diese ungeheure Kraftentfaltung auslöste, war sichtlich ein Antriebsfaktor von erstaunlicher Macht.
»Das ist nahezu unvorstellbar«, fügte er
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