Todesangst
Respekt. Er arbeitete meist bis tief in die Nacht und produzierte eine Unmenge von Schriftstücken und wissenschaftlichen Beiträgen.
Alvin Hayes hing in einem Sessel gegenüber Dr. Howards altem Schreibtisch. Er war etwa so groß wie Jason Howard und hatte fast noch knabenhafte, aber schwammige Gesichtszüge. Das Haar fiel ihm strähnig ins Gesicht, das seinem Gegenüber fahler vorkam als je zuvor. Es hatte schon immer diese besondere Akademikerblässe gehabt, an der man Wissenschaftler erkennen kann, die ihre ganze Zeit am Schreibtisch oder in einem Laboratorium verbringen. Aber Jason Howards geschultes Medizinerauge erkannte doch diese bestimmte gelbliche Fahlheit und eine Schlaffheit, die Hayes krank und über die Maßen erschöpft wirken ließen. Er fragte sich, ob dieser Besuch ihm als Arzt galt.
»Entschuldigen Sie bitte die Störung«, sagte Hayes und erhob sich mühsam. »Ich weiß, daß Sie sehr beschäftigt sind.«
»Nicht so schlimm«, log Dr. Howard höflich, ging um seinen Schreibtisch herum und nahm dahinter Platz. Er legte das Stethoskop ab, das ihm um den Hals hing, und fragte: »Nun, was können wir für Sie tun?«
Hayes wirkte nervös und so erschöpft, als hätte er seit mehreren Tagen nicht mehr geschlafen. »Ich muß mit Ihnen reden«, sagte er, wobei er die Stimme senkte und sich wie ein Verschwörer nach vorn beugte.
Dr. Howard lehnte sich zurück. Hayes’ Atem war übelriechend, seine Augen waren unstet und glasig, und er machte einen ziemlich verwirrten Eindruck. Sein weißer Arbeitskittel war zerknautscht und voller Flecken, die Ärmel waren bis zum Ellbogen aufgekrempelt, und die Armbanduhr baumelte ihm so locker ums Handgelenk, daß Dr. Howard sich wunderte, daß er sie nicht schon längst verloren hatte.
»Was haben Sie denn auf dem Herzen?«
Hayes beugte sich noch weiter vor und stützte die Hände auf Dr. Howards Schreibunterlage. »Nicht hier«, flüsterte er. »Ich muß Sie heute abend sprechen - aber außerhalb des GHP.«
Einen Augenblick lang herrschte beklemmende Stille. Hayes’ Verhalten war zweifellos nicht normal, und der Arzt fragte sich, ob er den Mann nicht zu seinem Freund Patrick Quillan schicken müsse, weil er einen Psychiater brauche. Wenn Hayes sich mit ihm außerhalb des Krankenhauses unterhalten wollte, konnte es indessen nicht um seine Gesundheit gehen.
»Es ist wirklich wichtig«, beharrte Hayes und klopfte ungeduldig auf die Schreibtischplatte.
»Also gut«, sagte Dr. Howard nun rasch in der Sorge, sein Besucher könne sonst vielleicht hysterisch werden oder einen Wutanfall bekommen. »Wir könnten irgendwo gemeinsam zu Abend essen.« Es war ihm wichtig, mit dem Mann an einem öffentlichen Ort zusammenzutreffen.
»Ja, in Ordnung; und wo?«
»Mir ist das egal«, antwortete Jason Howard mit einem Achselzucken. »Wie wär’s mit irgendeinem italienischen Restaurant in der Nordstadt?«
»Prima - wo und wann also?«
Dr. Howard ging im Geist rasch die Liste italienischer Restaurants durch, die er in der Bostoner Nordstadt kannte, einem Viertel mit krummen, verwinkelten Straßen, in denen man sich vorkam, als sei man plötzlich auf wunderbare Weise in den Süden Italiens versetzt worden. »Wie wäre es denn mit dem ›Carbonara‹?« schlug er dann vor. »Das liegt am Rachel-Revere-Platz, direkt gegenüber dem Paul-Revere-Haus.«
»Kenn ich«, antwortete Hayes. »Und um welche Zeit?«
»Sagen wir um acht?«
»Das paßt prima«, gab Hayes zurück und ging dann irgendwie unsicher zur Tür. »Aber bringen Sie niemanden mit. Ich muß mit Ihnen unter vier Augen sprechen.« Ohne auf Antwort zu warten, ging er und zog die Tür hinter sich ins Schloß.
Dr. Howard schüttelte verblüfft den Kopf und wandte sich dann erneut seinen Patienten zu.
Innerhalb weniger Minuten war er wieder voll in seine Arbeit vertieft und hatte das merkwürdige Gespräch mit Hayes aus seinen Gedanken verbannt. Der Rest des Nachmittags verging rasch ohne weitere unwillkommene Überraschungen. Wenigstens seine ambulanten Patienten schienen zu genesen und auf die Medikamente anzusprechen, die er ihnen verordnet hatte. Das gab seinem Selbstvertrauen, das durch die Geschichte mit Harring einen bedenklichen Stoß erlitten hatte, wieder den notwendigen Auftrieb. Als er auf dem Weg von einem der Behandlungszimmer, wo er einen kleinen chirurgischen Eingriff vorgenommen hatte, zu seinem Sprechzimmer durch den Warteraum kam, sah er dort nur noch zwei Patienten sitzen, um die er sich zu
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