Todesangst
kümmern hatte. Dann erblickte er am zentralen Empfangsschalter, ehe er gerade wieder in sein Sprechzimmer zurückkehrte, um dort die entsprechenden Anweisungen zu diktieren, Shirley Montgomery, die mit den Arztsekretärinnen plauderte. Inmitten der sterilen Krankenhausatmosphäre wirkte sie wie Aschenbrödel auf dem Ball. Im Gegensatz zum anderen weiblichen Personal, das weiße Röcke und Blusen oder weiße Hosenanzüge trug, hatte sie ein konservativ wirkendes Seidenkleid an, das ihre attraktive Figur eher betonte als verbarg. Obwohl das die wenigsten Leute, die sie sahen, vermutet hätten, war Shirley Montgomery die Vorstandsvorsitzende der gesamten GHP-Versicherung. Sie hatte eine Figur wie ein Modell, an der Universität von Columbia den Doktortitel in Krankenhausverwaltung erworben und obendrein den Magister in Betriebswirtschaft an der berühmten Harvard Business School gemacht.
Angesichts all ihrer körperlichen und geistigen Vorzüge hätte Shirley Montgomery leicht einschüchternd wirken können - aber das war keineswegs der Fall. Sie war einfühlsam und konnte auf die Leute zugehen, und daher kam sie mit allen gleichermaßen gut zurecht - mit dem Wartungspersonal, den Schwestern, den Sekretärinnen und sogar den Ärzten. Ein beträchtlicher Teil vom guten Betriebsklima bei GHP und vom reibungslosen Funktionieren der Organisation ging auf das persönliche Konto von Shirley Montgomery.
Als sie Jason Howard erblickte, entschuldigte sie sich bei den Sekretärinnen und schritt mit der Leichtigkeit und Grazie einer Tänzerin auf ihn zu. Ihr volles braunes Haar war aus der Stirn gekämmt und bildete zu beiden Seiten des Gesichts eine prächtige Mähne. Ihr Make-up war so perfekt, daß man hätte meinen können, sie sei überhaupt nicht geschminkt. Aus ihren großen blauen Augen strahlte geistige Kraft.
»Verzeihen Sie, Dr. Howard«, sagte sie förmlich, während ganz außen in ihren Mundwinkeln die schwache Andeutung eines Lächelns sichtbar wurde. Was dem Personal verborgen geblieben war: Sie und Dr. Howard waren sich auch persönlich nähergekommen und trafen sich seit ein paar Monaten mehr oder weniger regelmäßig. Es hatte bei einer der üblichen Halbjahrestagungen der leitenden Mitarbeiter begonnen, wo sie bei einem Cocktail miteinander ins Gespräch gekommen waren. Als Dr. Howard erfahren hatte, daß ihr Mann vor einiger Zeit an Krebs gestorben war, hatte er sogleich ein Gefühl der Gemeinsamkeit verspürt.
Während des Abendessens, das sich dem Cocktailempfang anschloß, hatte sie Dr. Howard erzählt, vor etwa drei Jahren sei ihr Mann eines Morgens mit ungewöhnlich heftigen Kopfschmerzen erwacht. Ein paar Monate später sei er dann an einem Gehirntumor gestorben, der auf keinerlei Behandlung angesprochen hätte. Zu dieser Zeit seien sie beide am Humana-Krankenhaus tätig gewesen. Anschließend habe sie dann, genau wie dies auch Jason Howard empfunden hatte, den Zwang zur Veränderung gespürt und sei nach Boston umgezogen. Ihr Schicksal hatte ihn so stark berührt, daß auch er die Mauer des Schweigens gebrochen hatte, die er um sich errichtet hatte. Am selben Abend noch hatte er ihr seine Verzweiflung wegen des tödlichen Unfalls seiner Frau anvertraut.
Auf der Grundlage dieser ungewöhnlichen Schicksalsgleichheit und der Übereinstimmung der dadurch ausgelösten Empfindungen hatte sich zwischen den beiden eine Beziehung entwickelt, die irgendwo zwischen Freundschaft und Liebe schwebte. Jeder von ihnen wußte, daß der andere seine Erinnerungen und Gefühle noch nicht so weit verwunden hatte, um die Dinge rasch voranzutreiben.
Dr. Howard war überrascht - noch nie war sie so direkt auf ihn zugegangen. Gewöhnlich hatte er nur eine äußerst vage Vorstellung davon, was in ihrem so offen wirkenden Geist tatsächlich vorging. In vieler Beziehung war sie die komplizierteste Frau, die er jemals kennengelernt hatte. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?« fragte er und suchte angestrengt nach einem Hinweis auf ihre Absichten.
»Ich weiß, daß Sie sehr beschäftigt sind«, sagte sie, »aber ich möchte Sie trotzdem fragen, ob Sie vielleicht heute abend Zeit hätten.« Sie senkte ihre Stimme und wandte Claudia den Rücken zu, um deren unverwandtem Blick auszuweichen. »Ich habe heute abend ein improvisiertes Essen mit ein paar alten Bekannten von der Harvard Business School. Ich fände es nett, wenn Sie dazukommen könnten. Wie sieht es aus?«
Jason Howard bedauerte sofort, daß er sich mit Alvin
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