Todesblueten
nicht zu Ende zu denken. Wie ein Horrorfilm flackerte der Anblick des toten Mädchens vor meinem inneren Auge auf. Oder warum war er sonst unter Wasser zu mir geschwommen? Was hatte er gleich noch mal gesagt?
»So, das hier wird besser halten.« Leon war mit einem weißen Päckchen unter dem Arm zurückgekommen. Er griff behutsam nach meinem Fuß und hielt ihn hoch. Ich bemerkte das Grübchen auf seiner linken Wange und seine warmen dunklen Augen, dann sah ich schnell weg. Wie schön wäre es, wenn Leon meinen Fuß so zärtlich in der Hand hielte, um mir die Nägel zu lackieren oder sonst was Erotisches damit zu machen, und nicht, um einen Verband um meine eklige Wunde zu wickeln. Irgendwie ging bei mir immer alles schief. Leon schien nichts von meinen Wünschen zu bemerken, er machte ruhig einen festen Verband, den er mit einer Art Sicherheitsnadel feststeckte.
»Danke.« Ich atmete erleichtert aus. »Und danke, dass du mir geholfen hast.«
»Mach ich doch gern für jemand so Hübsches. Wie heißt du eigentlich?«
»Clara.« Jetzt wurde ich fast ein wenig verlegen. Leon hatte ganz dunkelgraue Augen, die einen schönen Kontrast zu seiner leicht gebräunten Haut bildeten, das hatte ich gestern Abend gar nicht bemerkt.Jetzt bei Tageslicht wurde mir klar, dass er mindestens zehn Jahre älter als ich war. Mein Herz sank in den Keller. Einer in dem Alter hatte doch ganz andere Erwartungen. Oder? Hmm, aber warum eigentlich nicht? Melanies Cousine hatte mit 16 eine Affäre mit einem 3 0-jährigen Taxifahrer gehabt und uns dessen Vorzüge in allen Einzelheiten geschildert.
»Wo warst du denn gestern Abend auf einmal?«
»Paar Leuten aus dem Weg gehen.« Er zwinkerte mir zu.
Die schlampige Chantal. Vor der wäre ich auch geflüchtet. Ich grinste zurück. »Machst du hier den ganzen Sommer lang Urlaub?« Was für eine blöde Frage.
Er lachte. »So was Ähnliches. Ich arbeite auch. Aber ich kann Gott sei Dank arbeiten, wo immer ich bin.« Er wischte sich mit der Hand über die Stirn. »Mensch, ist das heiß.«
»Willst du was trinken?« Irgendwo in unserer Bude stand noch eine halb volle Apfelschorle.
»Habt ihr was Kaltes?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nee, wir haben keinen Kühlschrank.«
»Na, weißt du, dann biete ich dir lieber was an. Ich habe sogar Eis.«
»Echt?«
»Echt. Und außerdem«, er ließ einen Blick über den See schweifen, »lasse ich dich ungern hier allein. Wer weiß, was unserem Freund als Nächstes einfällt.Da wartest du lieber bei mir, bis deine Kumpels wiederkommen.«
»Danke.« Es war zwar irgendwie ein bisschen komisch, wenn ich jetzt zu ihm rüberging, ich kannte ihn ja gar nicht, aber andererseits hatte ich absolut keine Lust, hier alleine wie auf dem Präsentierteller zu sitzen.
»Geht's?« Leon half mir, den kleinen Absatz am Ende des Stegs runterzuklettern. Gott sei Dank hatte ich ganz bequeme Sandalen zum Reinschlüpfen mitgenommen.
»Geht.« Ich schlurfte neben Leon her. Es war gar nicht so weit, doch es erschien mir endlos, weil wir nur so langsam vorwärtskamen. »Das ist echt nett von dir.«
»Keine Ursache. Freue mich doch, wenn ich ein bisschen Abwechslung habe. Den ganzen Tag so allein, da wird man richtig rammdösig.«
Wir waren an seinem Boot angelangt. Es sah ziemlich gut in Schuss aus, hatte sogar eine richtige Tür mit Schloss, nicht nur einen Riegel wie unseres. Sogar einen Blumenkasten gab es vorn am Eingang, allerdings waren die Blumen darin vertrocknet. Eine kleine Veranda begann an der Vorderseite und führte um das ganze Boot herum nach hinten auf den See hinaus, dort hatte ich Leon ja schon gesehen. Da stand der Liegestuhl mit dem Handtuch, auf dem Boden, so sah ich jetzt beim Näherkommen, lagen eine Gummiente und ein Schwimmreifen. Leon bemerktemeinen Blick. »Von meiner Tochter. Die kommt in den nächsten Tagen mit meiner Frau.«
»Ach.« Ich verspürte einen tiefen Schuss Enttäuschung. Leon war verheiratet. Natürlich war er das. Und ich war eine dumme Gans.
»So, komm rein.« Er hielt mir die Tür auf. Sofort umfing mich angenehme Kühle. Ein Ventilator brummte unermüdlich in der Ecke. Leon hatte ein richtiges Wohnzimmer mit Couch und Fernseher. Und einen Küchenbereich mit Kühlschrank, Spüle und einer ganzen Galerie von Weinflaschen. Die Einrichtung war zwar ein bisschen altmodisch, aber gemütlich.
»Setz dich, setz dich.« Ich ließ mich auf das weiche Sofa fallen und schloss kurz die Augen. Wahrscheinlich war ich doch nicht so der
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