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Todesblueten

Todesblueten

Titel: Todesblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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zu seinem Hausboot hin. Was machte der da nur die ganze Zeit? »Komm schon raus«, lockte ich leise.
    Es war jetzt absolut still, abgesehen von dem ständigenSummen in der Luft. Der Spreewald schien das Mekka aller Insekten zu sein, wo Menschen nur störende Randfiguren waren. Ich blätterte die Seite in der Zeitschrift um. Ein blondes Mädchen mit geflochtenen Haaren und Lederschmuck nahm das ganze Bild ein.
Tolle Frisuren für jede Gelegenheit
. Eine Sekunde lang war mir, als starrte mich die Tote aus dem Hochglanzfoto an. Ich schlug die Zeitschrift rasch zu. Ein Quietschen erklang. Ich hob den Kopf. Es kam von der gegenüberliegenden Wasserseite, von dem Hausboot mit dem Cottage-Look und den Blumenkästen. Ich hatte mich schon die ganze Zeit gefragt, wer da wohl Urlaub machte. Eine Tür ging auf und ein braun gebrannter älterer Mann mit Brille trat heraus. Er streckte sich und ich konnte sehen, dass er einen ziemlichen Bauch hatte. Wie mein Vater. Der Mann machte keinerlei Anstalten herüberzugrüßen, obwohl er mich doch garantiert gesehen hatte. Nun, das war definitiv
nicht
wie mein Vater. Der hätte jetzt quer über den See gerufen und gewunken. Ich schielte unter meinem Pony hinüber. Jetzt ging er wieder rein, dann kam er wieder raus, diesmal begleitet von seiner Frau. Oder seiner Tochter? Das weibliche Wesen neben ihm sah jedenfalls mindestens zwanzig Jahre jünger aus. Langbeinig und langhaarig, mit einem Mund, der so rot geschminkt war, dass er die hundert Meter bis zu meinem morschen Steg leuchtete. Sie trug ein winziges weißes Hängerkleidchen. Der Mann drückte ihr etwasin die Hand. Tranken die mitten am Vormittag Cocktails? Er legte jetzt seinen Arm um die Frau und die beiden küssten sich. Sie standen genau vor dem weißen Hintergrund, mit Blumenkästen rechts und links und glitzerndem Wasser und Sonnenschein ringsum. Ein Bild wie aus der Werbung, total romantisch. Ich musste einfach noch ein Foto machen. In diesem Moment sah der Mann genau zu mir herüber und die malerische Szene zerbrach wie Glas. Er zerrte die Frau am Arm, richtig grob sah das aus. Sie schien das nicht zu wollen. Ich konnte sehen, wie der Mann wütend herumfuchtelte und auf mich zeigte. Was hatte ich denn getan? Die Frau strauchelte ein bisschen, aber er schob sie wie ein Paket ins Innere des Bootes und schlug mit lautem Knall die Tür zu. Na klasse. Ich saß da wie vom Donner gerührt. Was hatte der denn für ein Problem? Weil ich fotografiert hatte? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Oder war das irgendein perverser Sack, der sich heimlich eine Lolita auf sein Hausboot geholt hatte? Mist, dass die anderen alle weg waren.
    Das Handy war kurz vorm Absterben, aber ich schickte Melanie trotzdem schnell eine SMS:
Wo bist du? News!!!
    Ob Leon die beiden auch gesehen hatte? Warum kam er nur nicht raus? Am liebsten wäre ich zu ihm rübergelaufen und hätte an die Tür geklopft. Bald würden schließlich die anderen zurückkommen. Mist. Mein Fuß tat weh, als ich mich auf den Rückendrehte, um mich zu sonnen. Irgendwo plätscherte das Wasser. Wahrscheinlich wieder die Enten. Ich schloss die Augen, genoss die Wärme auf meiner Haut und den Geruch nach Wasser, Schilf und Holz. Es plätscherte wieder. Ich setzte mich ächzend hin, darum bemüht, nicht wieder an meinen Fuß zu stoßen. Nicht weit von mir entfernt kräuselte sich die Wasseroberfläche. Auf einmal bekam ich ein ganz komisches Gefühl. Diese Sorte Enten tauchte doch nicht komplett unter? Und der Typ mit der jungen Frau da drüben, wie der mich angestarrt hatte . . . Ich war hier ganz alleine, ich konnte mit meinem Fußverband nicht mal weglaufen. Ich legte mich auf den Bauch und beobachtete den See. Was immer da untergetaucht war, blieb offenbar unten. Ich rückte noch ein Stück vor. Da war was, direkt im Wasser unter mir. Mein Mund wurde ganz trocken. Eigentlich wollte ich nicht wissen, was da war, aber ich musste trotzdem hinsehen. Etwas Helles. Zu groß für ein Insekt, mehr wie ein Fisch, aber so sah kein Fisch aus, mit so vielen Gliedern, das war . . .
    In dem Moment, als die Hand aus dem Wasser auftauchte, fing ich wie wahnsinnig an zu schreien.

10.
    »Entschuldigung! Schrei doch nicht so!«
    Die Stimme drang kaum zu mir vor. Ich schrie und schrie und fuchtelte wild mit den Armen, damit mir dieses Monster nicht zu nahe kam. Dieser Typ mit seinem schwarzen Gummianzug, in dem er wie ein riesiger Molch aussah, mit diesen Schwimmflossen und dem Kopf in der schwarzen

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