Todesblueten
Erste-Hilfe-Kasten. Sind nur eine Mullbinde und Heftpflaster drin, aber besser als nichts. Ich mach dir 'nen Verband dran, dass es erst mal aufhört zu bluten.«
Ich nickte nur.
»Kannst meinen Arm kneifen, wenn es wehtut.« Er grinste. Und fing an. Ich quetschte seinen Arm so sehr, dass er wahrscheinlich noch monatelang blaue Flecken haben würde. Aber David wusste offenbar, was er tat. Blitzschnell hatte er einen Verband angelegt und in dem Moment, wo ich das Blut nicht mehr sehen musste, tat es auch nicht mehr so schrecklich weh.
»Danke«, keuchte ich.
»Keine Ursache.«
»Clara? Was ist denn passiert?« Melanie kam heraus, die Augen vor Schreck weit aufgerissen.
»Sie hat sich den Nagel an der großen Zehe abgerissen.« David stand auf.
»Echt? Oh Mann, du Arme!« Melanie kam zu mir gerannt und drückte mich. »Wie denn?«
»Ich bin ins Wasser gesprungen. Ich weiß auch nicht, wahrscheinlich bin ich an diesem scheiß Steg hängen geblieben. Der ist total morsch.«
»Yep«, sagte Alex. Er lag auf dem Bauch und untersuchte die Holzkante. »Hier ist so ein Metallhaken und da hängt dein Nagel. Willst du ihn sehen?«
»Nein«, schrien Melanie und ich wie aus einem Mund.
Alex hielt den blutigen kleinen Nagel hoch wie eine Trophäe. »Schade um den Nagellack«, sagte er. Dann holte er aus und warf das Ding ins Wasser. »Jetzt ist er Fischfutter.«
»Du bist widerlich«, sagte Melanie.
»Ist doch nur Spaß.« Er kam auf uns zu und lächelte entschuldigend. Legte mir die Hand auf die Schulter. An seiner Stirn blühte ein Pickel. »Sorry, ich bin halt so der Joker-Typ. Tut bestimmt sauweh, dein Fuß.«
Ich verzog das Gesicht. Joker-Typ, sonst noch was? Melanie hielt meine Hand, ehrlich besorgt, David hatte mir geholfen und mich regelrecht überrascht, dass er so sanft sein konnte, aber Alex – der war von anderem Schlag. Dieser fiese Zug um seinen Mund, als er die Wunde gesehen hatte. Dieses Glitzern in den Augen, diese Sensationslust gestern bei der Wasserleiche.
Es gab gar keinen Zweifel – Alex ging beim Anblick von Blut und Gewalt so richtig einer ab.
9.
Zwei Stunden später war Alex endlich weg. David und Melanie auch. Sie hatten nach langem Hin und Her eingesehen, dass es eine Zumutung gewesen wäre, wenn ich mit meinem schmerzenden Fuß mit in die Stadt gerudert wäre. Da mussten sie nämlich unbedingt hin, weil die Zigaretten schon wieder alle waren. Melanie hatte unbedingt mitgewollt. Wahrscheinlich war es ihr hier am See zu langweilig – nicht genug Action, nichts zum Einkaufen und keine Eiswürfel im Drink.
Ich war aber nicht sauer. Im Gegenteil – ich freute mich, mal meine Ruhe zu haben. Mein Fuß puckerte immer noch ziemlich schmerzhaft, aber wenn ich mich nicht groß bewegte, ging es. Ich hatte es mir auf dem Bootssteg bequem gemacht, diesmal aber auf einer Decke, damit ich mir nicht noch einen Splitter reinzog. Drinnen im Haus roch es immer so modrig. Vor mir lagen mein Roman, den ich endlich mal weiterlesen wollte, eine Tüte Gummibären und eine Modezeitschrift mit Tipps, wie man am besten seinen Typ veränderte. Genau das Richtige für einen Sommertag. Ob Leon mich sehen konnte? Er war nicht wieder aufgetaucht. Ich weiß nicht warum,aber ich hatte weder Melanie noch den anderen erzählt, wer da nebenan wohnte. Leon war meine Entdeckung und ich wollte ihn so lange für mich behalten, wie es nur ging. Denn leider war es nun einmal so – sobald Melanie dazukam, würde Leon sich nur noch für sie interessieren, das wusste ich aus Erfahrung. Zwei Freunde hatte ich schon auf diese Weise verloren, dabei wollte Melanie nicht mal was von ihnen. Sie flirtete aus Spaß, als Hobby, als Sport, so wie andere Leute Fußball spielten oder tanzen gingen. Dummerweise kapierten das die meisten Jungs nicht und nahmen ihr Geflirte persönlich. Es war fast lustig – aber eben nur, solange es mich nicht selbst betraf.
Zwei Libellen surrten vor mir über das Wasser. Es sah fast so aus, als ob sie tanzten. Oder vor Angst zitterten. Meine Oma hatte Libellen immer Wasserjungfern genannt. Eigentlich waren sie auch hübsch, so zart und flimmernd. Ich nahm mein Handy und schoss ein Foto. Schade, dass ich nicht näher heranzoomen konnte. Obendrein war mein Akku fast leer. Ich sollte ihn mir lieber aufheben, falls meine Eltern noch mal anriefen. An eine Nachricht von Tobi glaubte ich jetzt nicht mehr. Fuck Tobi, dachte ich. Leon war viel besser. Ich schielte über den Rand meiner Zeitschrift
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