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Todesblueten

Todesblueten

Titel: Todesblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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sie bei dem?«
    »Nein. Sie ist abgedampft, nach Hause. Schon vor einer Stunde. Zum Wasserbus.«
    David zog überrascht die Augenbrauen hoch. Offenbar hatte er das auch nicht von Melanie erwartet.
    »Wo sind meine Kippen?«, rief Alex von drinnen.
    Keiner von uns beiden antwortete.
    »Zum Wasserbus?«, fragte David.
    Alex erschien auf der Bildfläche, hustend und verschlafen. »Mann, hab ich einen Brand«, sagte er. »Ist noch Saft da?«
    Ich funkelte David an. Sollte der gefälligst seinem Freund die Nachricht überbringen. Aber David sagte nur wieder: »Zum Wasserbus?«
    »Ja, verdammt noch mal«, sagte ich. Was gab es daran nicht zu verstehen?
    »Hm?«, machte Alex. Das helle Morgenlicht war sichtlich zu viel für ihn.
    »Aber was will sie denn da?«, fragte David. »Heute ist Sonntag.«
    »Na und?«, antwortete ich gereizt. Worauf wollte er hinaus?
    »Sonntags fährt der Wasserbus nur zweimal. Das hat uns doch der Typ extra gesagt.«
    »Na und?«, sagte ich wieder. »Einmal reicht ja.«
    »Ich habe neulich in der Stadt mal auf den Plan geguckt. Sonntags fährt der Kahn so gegen elf und dann wieder nachmittags. Mehr nicht.«
    Ich sah ihn an. Dann dämmerte es mir.
    »Jetzt ist es ungefähr neun«, verkündete Alex. »Da fährt er noch nicht.«
    »Genau.« David grinste. »Dann wird Melanie jetzt also noch zwei Stunden lang dahinten am Wasser sitzen und warten.«
    »Bei den Mücken.« Alex gab ein fröhliches Schnaufen von sich und schlug sich auf die Schenkel.
    »Ihr seid so was von bescheuert«, sagte ich. Dann ließ ich sie stehen und ging los. Wenigstens war Melanie noch hier.

19.
    Der Specht machte mich ganz verrückt. Sein maschinenpistolenartiges Klopfen bohrte sich mit jedem Humpelschritt lauter in meine Ohren. Als ob er mich absichtlich nerven wollte. Sobald ich außer Sichtweite der Jungs war, fing ich an, Melanie zu rufen. Ich war den Weg nur am ersten Tag mit den anderen gelaufen und erinnerte mich, dass er ungefähr einen Kilometer lang war. Schon nach zehn Minuten war ich fix und fertig. Sich humpelnd vorwärtszubewegen war extrem anstrengend. Nur die Aussicht darauf, Melanie gehörig meine Meinung sagen zu können, trieb mich voran. Ich schwitzte und keuchte und spuckte wütend eine kleine Fliege aus, die mir in den Mund geflogen war.
    »Melanie?« Da vorn wurde es lichter, gleich kam ich an die Stelle, wo der Wasserbus uns damals abgesetzt hatte. Warum antwortete sie mir nicht? Tja, ganz einfach: weil sie nicht dort war. Ich sah mich um. Rief wieder ihren Namen, strauchelte und hielt mich an dem verwitterten Holzschild fest, das die Haltestelle anzeigte.
    So ein Mist! Wo war sie denn? Etwa wieder zurückgelaufen? Dann hätten wir uns treffen müssen. Objemand sie mitgenommen hatte? Der Mann vom Wasserbus? Aber warum sollte er hier vorbeifahren, wenn er doch gar nicht musste? Um Melanie zu treffen? Ich erinnerte mich daran, wie er ihr gestern auf den Bauch gestarrt hatte. Doch woher sollte er wissen, dass sie morgens um sieben hier wartete? Und irgendwer anders? In der ganzen Zeit hatten wir hier keine Menschenseele vorbeifahren sehen, die Zivilisation begann erst nach einer halben Stunde Paddeln. Ausgerechnet am Sonntagmorgen würde hier wohl kaum einer auf dem Wasser vorbeikommen. Auf dem Wasser . . . Ich drehte mich im Kreis und nahm wie in Zeitlupe das grüne Gestrüpp um mich herum wahr. Es kann ja auch jemand aus dem Busch gekommen sein, wisperte eine kleine Stimme irgendwo in meinem Kopf. Ich trat näher an den Busch heran, magisch angezogen von irgendetwas Blauem darin. Etwas, das da nicht hingehörte. Ich schob die kratzigen Zweige beiseite. Dann sah ich es. Es war wie eine kalte Dusche. Melanies Rucksack.
    »Melanie?«, sagte ich ungläubig. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder, sie war ohne ihre Sachen mit jemandem mitgefahren   – sehr unwahrscheinlich. Oder sie war mit jemandem
mitgegangen
. Ohne Rucksack? Wie ein Flashback erschien die schwarze, glatte Gestalt des Tauchers vor meinen Augen, wie er so plötzlich aus dem Wasser herausgekommen war. Herausgeglitten war wie eine Wasserratte.
    »Mensch, Mellie«, flüsterte ich. »Wo bist du denn bloß?«
    Rattattattatat
, erklang es monoton von oben aus den Baumkronen. Verfolgte mich dieses Vieh? Mit einem Satz machte ich kehrt und hastete so schnell ich konnte den zugewachsenen Weg zurück. Bloß nicht zu lange in die Büsche sehen. Bloß nicht umdrehen. Bloß nicht hinfallen.
    »David«, rief ich, sobald ich unser Hausboot sah.

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