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Todesblueten

Todesblueten

Titel: Todesblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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»David, ihr müsst mitsuchen. Sie ist da nicht. Ich verstehe das nicht. Wo kann sie nur sein?«
     
    David war draußen auf dem Steg und schüttelte gerade seinen Kopf nach links, wahrscheinlich hatte er Wasser in den Ohren. Ich hätte wetten können, dass er die Tasche aus dem Versteck geholt hatte, aber jetzt war keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. »Melanie muss hier noch irgendwo sein«, sagte ich.
    »Wie jetzt?«, fragte er.
    »Ich habe nur ihren Rucksack gefunden. Keine Melanie. Aber sie würde doch nicht ohne ihren Rucksack wegfahren. Ich verstehe das nicht, wo ist sie denn dann?« Ich spürte, wie Hysterie in mir aufstieg. Von Anfang an war an dieser Reise etwas faul gewesen.
    David legte kurz den Kopf in den Nacken und murmelte etwas. Es klang wie »Auch das noch«.
    »Wir müssen sie suchen«, sagte ich mit dünner Stimme. »Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Dieserblöde Typ aus dem Wasser, was, wenn der Melanie was getan hat und . . .«
    »Quatsch«, sagte David. »Die wird irgendwo hier rumlaufen und schmollen.«
    »Ohne ihren Rucksack? Ohne was zu trinken? Zwei Stunden lang, bis der Wasserbus kommt? Glaubst du das wirklich?«
    Ich starrte ihn an. Er starrte zurück. In seinem Gesicht arbeitete es. Dann hämmerte er an die Tür. »Alex! Los, komm raus. Wir müssen Melanie suchen. Die rennt hier irgendwo rum. Ist durchgedreht, was weiß ich.«
    Ich wollte das Gemaule von Alex nicht hören und konzentrierte mich darauf, intensiv mit den Augen die Umgebung abzusuchen. Aber glaubte ich ernsthaft, dass Melanie irgendwo dort saß, uns beobachtete und irgendwann mit einem »Buh!« hervorgesprungen kam? Es ergab alles keinen Sinn. Mein Blick glitt hinüber zur anderen Seite des Sees, wo der Typ mit der jungen Freundin wohnte. Mir war, als ob da jemand aus dem Fenster guckte. Plötzlich fiel mir mein Handy ein. Meine Güte, wie blöd konnte man sein! Der letzte Rest des Akkus musste jetzt dran glauben. Ich holte das Handy heraus und rief Melanie an. Niemand antwortete. Es sprang sofort ihre Mailbox an: »Hi, das ist Melanie, wenn du mir was Nettes sagen willst, nur zu.«
    »Melanie, wo bist du? Ich mach mir Sorgen. Ruf zurück.«
    Das Gesicht am Fenster da drüben verschwand plötzlich. War Melanie etwa dort? Oder sah ich vielleicht Gespenster?
    »Los, jetzt komm schon«, hörte ich David. Er trieb Alex voran wie einen störrischen Esel, obwohl er selbst nicht besonders enthusiastisch aussah.
    »Vorn beim Wasserbus war ich schon, da war sie nicht«, sagte ich schnell, bevor sie es sich anders überlegten. »Also sollten wir vielleicht einfach in die andere Richtung gehen und nach ihr rufen?« Ich deutete vage in das Waldstück hinter dem See.
    »Okay«, sagte David nur und ging mit großen Schritten los. Alex folgte ihm und steckte sich noch im Laufen eine Zigarette an. »Melanie!«, rief er mit absichtlich hoher Stimme. »Huhu!« Er schien das Ganze für einen Scherz zu halten.
     
    Die beiden Jungs liefen viel zu schnell, ich kam überhaupt nicht hinterher. »Wartet doch mal«, rief ich atemlos. Ich hatte mich schon zweimal schmerzhaft an meiner Zehe gestoßen. »Ich kann nicht so schnell.«
    Aber sie blieben nicht stehen. Im Gegenteil. Ich konnte sie lachen hören und dann erklang wieder das hohe »Melanie!« von Alex.
    »Mensch, jetzt wartet doch«, brüllte ich, außer mir vor Wut. Ich stolperte ihnen mehr oder weniger blind hinterher, überlegte kurz, ob ich einfach zurückgehen sollte, aber ich war mir sicher, dass sie nur halbherzig suchten, und auch, dass Melanie sichunter Umständen gar nicht zeigen würde, wenn sie Alex erblickte. Sich zeigen würde . . . Als ob sie irgendwo wartete. Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass die Idee, Melanie hier irgendwo zu finden, die Idee, dass sie gemütlich im Wald saß und eine Blumenkette band, völlig absurd war. Melanie
hasste
Wald mit all den Spinnen, Insekten, verrottenden Pflanzen und peitschenden Zweigen im Gesicht. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Ich blieb stehen und schluckte. Alex und David waren irgendwo, ich konnte sie nicht mehr sehen. Wo zum Teufel war ich jetzt? Wie aus weiter Ferne hörte ich einen Pfiff. Sie pfiffen nach Melanie wie nach einem Hund. Rechts ging ein langer Weg ab. Er verlief ganz gerade. Das war kein Trampelpfad, das war ein richtiger angelegter Weg. Ging der um den See herum? Gerade beschloss ich, da entlangzulaufen, als ich es hinter mir knacken hörte. Ich fuhr herum.
    Direkt hinter mir stand ein Mann.
Der
Mann.

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