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Todesblueten

Todesblueten

Titel: Todesblueten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Rylance
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Abend. Jetzt erst kapierte ich, dass er sichdie ganze Zeit über uns lustig gemacht hatte. Wie Laborratten hatten wir uns benommen. Wie Fliegen waren wir ihm ins Netz gegangen.
    Er drückte mich runter, indem er meine Arme nach oben zog, und als ich fast mit der Stirn den Holzboden berührte, holte er irgendwas aus der Schublade neben seinem Bein. Draht.
    »Leon, bitte«, brachte ich gerade noch heraus, dann versetzte er mir einen Stoß.
    »Leon ist auch ein Scheißname«, sagte er. »Ich weiß gar nicht, wie ich darauf gekommen bin.«
    Ein scharfer Schmerz schoss durch meine Handgelenke. Er hatte sie mit Draht umwickelt, meine Hände zusammengebunden und irgendwo hinter mir festgemacht. Es brannte höllisch und ich musste alle Kraft aufbringen, um nicht zu heulen. Nicht vor ihm, vor Leon, oder wie auch immer dieser Typ hieß. Was hatte er vor? Eine neue Welle der Übelkeit kam über mich. Sein »Roman« fiel mir ein. Oh Gott, war das sein Tagebuch? Waren das seine Fantasien? Blut pochte hinter meinen Schläfen, aber ich durfte jetzt nicht in Panik verfallen. Ich musste ruhig bleiben, denn wenn ich hysterisch herumschrie, würde er mir wahrscheinlich auch den Mund zukleben. Ich musste reden. Mit ihm reden. Solange er mir antwortete, hatte ich noch eine Chance.
    »Warum gefällt dir Leon nicht?«, fragte ich, als hätten wir uns gerade bei einer Cocktailparty kennengelernt.
    Er baute sich vor mir auf. »Leon heißen nur Vollidioten. Luschen.«
    »Wie heißt du denn richtig?«
    Ein Krächzen erklang. Nach einem kurzen Moment wurde mir klar, dass er lachte. »Du bist ja richtig lustig«, sagte er. Dann schien er zu überlegen. »Vielleicht sage ich es dir ja noch. Später. Gibt noch 'ne Menge zu tun.«
    Mir wurde kalt. Was meinte er damit? Was hatte er vor?
Das Skalpell stammt noch von meinem Großvater, eine Antiquität.
Weiterreden, immer weiterreden. »Leon«, sagte ich schnell und es war mir egal, ob das sein Name war oder nicht, »hast du das selbst geschrieben? Deinen Roman?«
    Zum ersten Mal wurde er ernst. »Natürlich. Und ich verspreche dir, dass ihr beide darin vorkommen werdet. Das war doch deiner Freundin so wichtig. Sie kann unbesorgt sein. Ich halte mein Wort.« Plötzlich fing er an zu lachen. Er lachte so sehr, dass ihm Tränen in die Augen schossen. Es war total surreal. »Leon« war ein kompletter Psycho, daran bestand gar kein Zweifel. Verrückt und gefährlich, gefährlicher, als der lächerliche Alex mit seinen Wutausbrüchen es je gewesen wäre. Alex. Wo war der? Hatte Leon ihn . . .
    »Wo ist Alex?«, fragte ich mit fester Stimme. »Und wen hast du eigentlich vorhin angerufen? Ich habe doch gehört, wie du telefoniert hast.«
    »Telefoniert!« Jetzt lachte er noch mehr. »Den Krankenwagenanrufen, für euren blöden Freund, der seine Nase in Sachen steckt, die ihn nichts angehen?«
    Meinte er David?
    »
Du
hast David niedergeschlagen?«
    Leon verzog das Gesicht. »Sorry. Aber der war mir ein bisschen zu voreilig.«
    »Und Alex?«
    »Alex? Der Volltrottel? Der holt sich bestimmt nachher 'ne Flasche Bier von mir und ist froh, dass ihn seine fette Freundin nicht mehr volllabert. Der wird mir dankbar sein.«
    »Melanie ist nicht fett!« Die Worte waren schneller heraus, als ich denken konnte. Dabei war es doch total egal, ob er Melanie fett fand oder nicht. Aber in mir stieg jetzt eine unbändige Wut hoch. Vergessen war meine alberne Eifersucht auf Melanie. Wie er sich über sie lustig machte . . . Über uns alle. Wie wir nur dumme kleine Bauern in seinem irren Schachspiel waren, die er nach Belieben hin und her schieben konnte . . . Was hatte er gerade über David gesagt?
    »Klar ist sie fett. Aber mich stört das nicht.«
    Es war das Glitzern in seinen Augen, das in diesem Moment einen Kurzschluss bei mir auslöste. »Alex!«, brüllte ich aus Leibeskräften. »Alex, ich bin hier, hilf mir!«
    Eine Hand klatschte mir ins Gesicht. »Halt den Mund«, zischte Leon. »Ich warne dich. Oder besser   – deine Zehe.«
    Hier grinste er plötzlich wieder.
    Das war es, schoss es mir durch den Kopf. Das war es jetzt. Du kommst hier nicht mehr weg. Dieser Psychopath, dieser Irre, was immer er ist, wird dich ermorden. Und du kannst nur hoffen, dass es schnell gehen wird.
    Irgendetwas musste sich in meinem Gesicht verändert haben, denn Leons Augen leuchteten regelrecht auf. »So ist es recht«, sagte er leise. »Es hat doch keinen Sinn, das weißt du ja. Bist ja nicht so blöd wie die Dicke.«
    Ich antwortete

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