Todesblueten
irgendwo eins.«
Bastian durchsuchte Leons Hosentaschen und klopfte an ihm herum. »Nichts. Wo ist es?«
»Bind mich los, dann sag ich's dir.«
Ich schüttelte heftig den Kopf. Bastian nickte unmerklich. Mein Blick fiel auf Leons Zettelkram und etwas schnürte mir die Kehle zu. Ob Melanie überhaupt noch lebte? Hatte das, was Leon geschrieben hatte, etwas mit der Blonden zu tun? Oder mit Mellie?
»Wir könnten zum nächsten Dorf paddeln«, sagte ich leise. »Und David mitnehmen. Alex muss ja auch irgendwo sein.«
»Dauert zu lange. Wir suchen sie«, erwiderte Bastian. »Irgendwo hier muss sie ja sein. Und vielleicht finden wir auch das verdammte Telefon.«
»Ja, irgendwo muss sie sein«, echote Leon. Sein Körper zuckte vor Lachen.
Ich wandte mich ab. Ich konnte ihn einfach nicht ertragen.
»Melanie«, rief ich wieder, so laut ich konnte. »Melanie!« Es blieb still.
»Ooch«, sagte Leon. »Ich glaube, die hört dich nicht mehr. Der ist wohl die Puste ausgegangen.«
Seine Worte waren wie Messerstiche mitten in mein Herz. Ich wollte mich auf ihn stürzen und in dieses höhnische Gesicht schlagen, immer wieder, bis er endlich aufhörte zu grinsen und mir verriet, wo meine beste Freundin war.
»Komm.« Bastian hatte mir wohl angesehen, was in mir vorging. »Lass.« Er zog mich weg und fing ebenfalls an zu rufen. Er öffnete eine kleine Tür, dahinter waren nur Besen und Putzmittel.
»Fasst ja meine Wischlappen nicht an«, johlte Leon und jetzt dämmerte mir endlich, dass das gar nicht sein Boot war. Die kitschigen Tassen, die Glückwunschkarte, der selbst gemachte Holunderwein . . . Wieso war mir das vorgestern nicht schon aufgefallen? Hatte Leon sich deshalb so schnell verzogen, als der Mann vom Wasserbus hier angeln kam?
»Melanie, Melanie!« Ich war wie von Sinnen. Ich öffnete eine Tür. Ein ungemachtes Bett und ein Schrank. Darin hingen Schürzen, Frauenkleider. Ich stieß mit der Hand hinein. Nichts. Keine Melanie. Ich hörte Bastian rufen, sah ihn Dinge hochheben und darunterschauen. Er suchte das Handy. Wie aus weiter Ferne tönte ab und zu Leons Stimme, die unsere Suche höhnisch kommentierte. Wir hätten ihm den Mund zukleben sollen. Ich öffnete eine weitere Tür, dahinter verbarg sich ein Bett, das mit Entchenbettwäsche bezogen war. Für ein Kind. Die Gummiente fiel mir ein. Der Schwimmreifen. Wie leichtgläubig man doch war, wenn man keinen Grund sah, etwas anderes anzunehmen. Ich hatte mich ja nicht mal gewundert, was ein Familienvater nachts auf dem Campingplatz mit jemandem wie Chantal zu schaffen hatte. Hier war Melanie auch nicht, weder unterm Bett noch im Schrank. Bastian kam aus dem kleinen Bad und schüttelte den Kopf. Nichts.
»Was hat er gemeint – ihr ist die Puste ausgegangen?«, fragte er mich leise.
Ich schniefte und zog leicht die Schultern hoch.Was wohl. »Er ist irre«, sagte ich. »Er hat irgendwelche Tötungsfantasien aufgeschrieben. Er heißt auch nicht Leon.«
Ein winziges Lächeln zuckte kurz in Bastians Gesicht auf. »Ach nee«, sagte er. Dann fasste er mich mit beiden Händen an den Schultern und sah mich eindringlich an. »Denk nach«, sagte er. »Du warst doch schon mal hier, oder? Ich hab euch doch vorgestern gesehen. Was gibt es hier noch, wo man jemanden verstecken kann? Wo«, er zögerte kurz, »wo einem die Luft ausgehen kann.«
»Der See?«, platzte ich heraus und schluchzte laut.
»Shit«, sagte Bastian wieder. »Ich knöpfe ihn mir noch mal vor.«
»Warte!«, sagte ich aufgeregt. Da war was. Da draußen vor dem kleinen Badfenster. Etwas, das ich kannte, ich konnte es nur nicht einordnen. Ich schob Bastian zur Seite, kletterte auf das Klo und schmiss dabei eine Rolle Klopapier in der Häkelhülle runter. Ich riss das Fenster auf und schaute raus. Genau davor war ein Busch. Das Fenster ging nach hinten raus, den Busch konnte man von unserem Hausboot aus nicht wahrnehmen. Doch jetzt stieg die Erinnerung plötzlich in mir hoch. An eine rosa Blüte im Haar eines toten Mädchens. Genau so eine, wie sie hier zu Dutzenden an dem Busch wuchsen.
»Sie ist hier«, sagte ich. »Melanie ist irgendwo hier bei dem Busch.«
24.
Am liebsten wäre ich sofort durch das kleine Fenster hinausgeklettert, aber es war zu eng. Ich schob Bastian zur Seite und lief aus dem kleinen Bad zurück in den Wohnbereich. Leon sah hoch. »Na, so was. Immer noch keine Melanie?«, fragte er spöttisch.
Ich ignorierte ihn und ging raus auf seine kleine Veranda. Erst vorgestern Abend
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