Todesbraut
sitzt er in Untersuchungshaft, hat ein umfassendes Geständnis abgelegt und seine Anwältin ist sich nicht ganz sicher, ob eventuell mein Interview den jungen Kurden so aufgewühlt hat.«
»Und deswegen willst du nun auf eigene Faust beweisen, dass dem nicht so ist. Um dich selbst zu beruhigen …« Er trank einen Schluck, dachte nach, dann setzte er leise fort: »Und dafür brauchst du mich. Weil ich besser an die Polizeidaten herankomme.«
»Ich habe dich nur um einen Gefallen gebeten, du musst nicht zusagen …«
Sie blickte ihn von der Seite an und war sich auf einmal nicht mehr sicher, ob er wirklich mitmachen würde. Warum sollte er? Sie hatte sich drei Jahre lang nicht bei ihm gemeldet, und dann verlangte sie etwas von ihm, das haarscharf am Rande der Dienstvorschriften lag. Nein, er würde ihr ganz sicher einenKorb verpassen. Axel kannte die Regeln, er hielt sich daran, er war korrekt und unbestechlich, manchmal sogar stur und verbohrt. Trotzdem war er sofort gekommen, hatte Rosen mitgebracht und sie auf den Mund geküsst, obwohl in Ostfriesland seine blinde Ehefrau saß und womöglich glaubte, er sei auf einer Fortbildung. Hatte er sich etwa verändert?
Sein Schweigen dauerte unerträglich lang.
Wenckes Zehen wurden langsam kalt, kein Wunder, sie war noch immer nicht dazu gekommen, sich etwas über den rechten Fuß zu ziehen. Der Zettel, den hatte sie fast vergessen, er lag ungeöffnet auf dem Gartentisch. Wencke faltete ihn auseinander und las. Eine unbeholfene Handschrift machte sich quer über einem Abholschein der Schneiderei breit. Kugelschreiber, Druckbuchstaben, Rechtschreibfehler. »Kinder wichtik! Shnell finden« Leider ohne Unterschrift. Das hätte die Frau mit dem Süßgebäck geschrieben haben können, aber auch Moah Talabani selbst, einer der Jugendlichen, der Springmesser-Typ, ein Klageweib, ach, einfach jeder könnte der Absender sein, selbst Kutgün Yıldırım. Aber was hatte es zu bedeuten?
»Ich soll die Kinder suchen.« Wencke reichte Axel den seltsamen Zettel. »Das hat mir jemand im Haus der trauernden Familie in den Schuh gesteckt.«
»Die Kinder der Toten?«
Wencke nickte.
»Okay«, sagte Axel plötzlich. »Ich helfe dir. Aber frag mich bitte nicht, warum!« Dann trank er das Glas Wein in einem Zug, stand auf und ging ins Haus. Als Wencke wenig später in ihre Wohnung kam, war ihr Besucher bereits im Gästezimmer verschwunden.
… gurrend …
In dieser Nacht bricht das Unglück herein. Wie ein Meteorit taucht es am sternenklaren Himmel auf, rast auf die Erde zu, auf Europa, auf Deutschland, auf Niedersachsen, auf Hannover, auf Seelze, auf ein kleines, noch lange nicht abbezahltes Einfamilienhaus mit Garten. Es durchbricht das Dach, knallt in die obere Etage, in der die Tochter schläft und von alledem nichts mitbekommt, zerschmettert die Decke des Wohnzimmers und landet genau auf dem Teppich, aus dem erst vor wenigen Stunden mit Mühe und Not dunkelbraune Soßenflecken entfernt worden sind.
Der Mann sitzt auf dem Sessel. Die Frau hat die Beine in eine Kuscheldecke geschlagen. Auf dem Tisch stehen Käsestangen, ein Bier in der Flasche, das Weißweinglas ist schon leer. Mister Tagesthemen wünscht allen Zuschauern einen schönen Abend und kündigt eine Reportage an, in der es um illegalen Handel von Zebrafellen geht. Keiner von beiden stellt den Fernseher ab, obwohl sich das Ehepaar nicht im Geringsten für den Tierschutz interessiert.
Das Unglück hat schon längst zwischen ihnen Platz genommen, es macht sich in ihrem Leben breit, plustert sich auf wie eine gurrende Straßentaube, bringt genauso viele Fremdkörper mit sich, Bazillen, Viren, Parasiten, verseucht die Sauberkeit in den vier Wänden. Tut so, als wäre nichts dabei. Und stinkt bestialisch.
»Ich weiß es inzwischen«, sagt die Frau und beobachtet auf der Mattscheibe einen Eingeborenen, der stolz einen blutigen Pfeil zeigt, mit dem er zuvor ein schwarz-weißes Tier getötet hat.
»Seit wann?«, antwortet der Mann.
»Seit gestern.«
Vorhin, als sie in der Tagesschau über die tote Kurdin berichtet hatten, als das Bild von Shirin Talabani gezeigt wurde, auf dem sie hübsch und fröhlich aussah, da hatte keiner von ihnen etwas gesagt. Und jetzt häuteten sie irgendwo in Afrika ein Zebra und die Worte kamen wie von selbst.
Und mit ihnen das Unglück.
»Woher weißt du es?«
»Das werde ich dir ganz bestimmt nicht auf die Nase binden.«
»Und wo warst du letzte Nacht?«, fragt der Mann.
Die Frau
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