Todesbraut
nimmt das leere Glas und wirft es gegen den Flachbildschirm. Die Scherben verteilen sich im Umkreis von zwei Metern. Die müssen bis morgen weg sein, sonst schneidet sich die Tochter in den Fuß, nie trägt sie Hausschuhe.
7.
»Shirin Talabani ist mit bloßen Händen erwürgt worden.«
Das Büro von Kutgün Yıldırım wurde von der Morgensonne großzügig illuminiert, da es statt einer Außenwand über bodentiefe Fenster verfügte, die gen Osten zeigten. Richtung Mekka, dachte Wencke kurz und sah in eine Ecke gerollt den Gebetsteppich liegen. Doch das war auch das einzig Orientalische, ansonsten verströmte der Arbeitsplatz der kurdischen Star-Advokatin den bürokratischen Charme einer oberen Finanzbehörde. An der Wand hinter ihrem Schreibtisch hingen ein paar eingerahmte Zeitungsausschnitte, Kutgün Yıldırım schien ein Faible dafür zu haben, die Wände ihrer Kanzlei auf diese Weise zu tapezieren. Auf Augenhöhewaren auch überregionale Presseberichte zu sehen, die ›FAZ‹, die ›Süddeutsche‹, sogar die ›Bild‹ hatte sich mit dem Fall des Kurden Kaan Badili beschäftigt, von dem auch die Anwaltsgehilfin Papatya erzählt hatte.
Wie weit geht deutsche Gastfreundschaft?– Muss Deutschland kurdischen Terroristen Unterschlupf gewähren? – Der zweifelhafte Sieg einer engagierten kurdischen Anwältin sorgt für Diskussionsstoff …
Diese engagierte Anwältin hatte heute Morgen Wencke zu sich bestellt, kaum dass die vorläufigen Ergebnisse der Obduktion vorlagen. Und das war um halb acht gewesen. Seitdem waren neunzig Minuten vergangen. Wencke hatte auf ein Frühstück mit Axel und Emil verzichten müssen und war auch noch nicht beim LKA aufgetaucht, so dringend hatte Yıldırım die Sache gemacht.
»Da das Opfer an Armen und Beinen gefesselt war, konnte es sich nicht wehren. Zudem war Shirin Talabani am Abend zuvor ein Opiat verabreicht worden, kein hartes Zeug, jedoch eindeutig überdosiert.
Tramadol
heißt das Medikament, und es steht im Arzneischrank der Familie, da die Tochter nach dem Unfall immer wieder heftige Schmerzphasen durchlitten hat. Nebenwirkungen sind unter anderem Verwirrtheit und Schläfrigkeit. Es sieht danach aus, dass Shirin Talabani die Medizin am späten Abend in den Tee gerührt worden ist. Die leere Verpackung hat man im Mülleimer der Küche gefunden, sie wird auf Spuren untersucht.«
»So etwas müssten die Kinder doch mitbekommen haben!«, fiel Wencke dazwischen.
Yıldırım nickte. »Das würde erklären, warum sie bislang von ihrem Vater versteckt wurden. Wahrscheinlich sollen sie nichts ausplaudern, ehe der Familienrat tagt.« Sie räusperte sich kurz. »Es tut mir leid, wenn ich gestern den Eindruck erweckt habe, Sie bei unserem Besuch in der Änderungsschneiderei irgendwie hängen zu lassen. Das war doch so, oder?«
»Zugegeben, ja.«
»Wissen Sie, ich bin heilfroh, dass Moah Talabani Vertrauen zu mir hat. Das erleichtert die Verteidigung enorm, und als Anwältin darf nur dies oberste Priorität haben. Doch ich musste mich zusammenreißen, um nicht ebenso loszurennen wie Sie, das können Sie mir glauben! Es war offensichtlich, dass man uns mit voller Absicht die Kinder vorenthalten hatte. Dennoch …«
»Talabani und einer seiner Bekannten haben mich nur wenige Minuten zuvor durch die Stadt verfolgt, von Ihrer Kanzlei bis kurz vor unserem Treffpunkt am Aegi. Tut mir leid, mein Vertrauen zu ihm hält sich in Grenzen.«
Yıldırım wirkte glaubhaft überrascht. »Damit habe ich aber nun wirklich nichts zu tun. Das ist … ich bin ehrlich geschockt, ich kann mir da absolut keinen Reim drauf machen.«
»Es ist okay!«, unterbrach Wencke. »Ich hatte auch nicht ernsthaft angenommen, dass Sie dahinterstecken. Und ich werde sicher bald herausbekommen, wie das alles zusammenhängt, glauben Sie mir. Aber jetzt interessiert mich mehr, was die Rechtsmedizin weiter herausgefunden hat.«
Yıldırım sortierte die Blätter – und wahrscheinlich auch ihre Gedanken. »Die Experten gehen davon aus, dass der Täter nicht besonders stark ist. Zungenbein und Kehlkopf sind unversehrt, bei großem Kraftaufwand wäre das anders.«
»Eine Frau?«
»Eventuell. Oder ein eher schmächtiger Mann.«
»Oder ein Mann, der sich zurückgehalten hat«, ergänzte Wencke.
»Es wurden beide Hände benutzt, und zwar eher seitlich angesetzt. Der Mörder wird also neben dem Bett gestanden haben. Der Tod trat nicht durch Erstickung, sondern durch die Blutstauung im Gehirn ein. Shirin
Weitere Kostenlose Bücher