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Todesbraut

Titel: Todesbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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verschließen«, bemerkte er grinsend. Ein Fensterflügel stand auf Kipp. »Hast du mit der schicken Uniform auch eine Krawatte geliefert bekommen?«
    Sie klopfte ihre Polizeijacke ab, und tatsächlich, in einer Innentasche lag ein zusammengerollter, olivfarbener Schlips, dessen Kunstfasern knisterten, als Wencke den Stofflappen weiterreichte.
    »Jetzt zeig ich dir mal, wozu diese Dinger noch gut sind, außer Schwiegermütter zu beeindrucken.« Er band eine lockere Schlaufe, ließ diese durch die obere Öffnung nach innen fallen und angelte mit bewundernswerter Gelassenheit nach dem Fenstergriff, dann zog er am anderen Ende die Schlinge fest.
    Ein Hund bellte auf der Straße, Schritte näherten sich dem Durchgang, blieben kurz stehen, marschierten weiter.
    »Du weißt schon, dass du gerade in eine Wohnung einbrichst?«
    »Ich glaube, dass die letzten vierundzwanzig Stunden mehr als genug hergegeben haben für eine doppelte Suspendierung,da macht das hier auch nichts mehr aus.« Er senkte die Stimme. »Außerdem tue ich es für Emil.«
    Wieder durchfuhr Wencke beim Gedanken an ihren Sohn der Blitz, ihr Leib krampfte sich zusammen und sie ließ sich auf einen Mauervorsprung sinken. »Hier wird er wohl kaum sein   …«
    »Aber vielleicht finden wir einen Hinweis.« Axel hockte sich vor sie und nahm sie kurz in den Arm. Es fiel ihr schwer, ihm seinen Optimismus abzukaufen. Er erhob sich wieder und schob das Fenster zu, zog vorsichtig am Ende der Krawatte und beobachtete durch die Scheibe, wie sich der Hebel nach oben bewegte. Es dauerte keine Minute, und der sonst so korrekte Provinzpolizist konnte seinen Fuß durch das jetzt weit geöffnete Fenster in eine fremde Wohnung setzen. Er reichte Wencke die Hand und zog sie ebenfalls ins Zimmer.
    Sie befanden sich im stockdunklen Wohnraum, nur schemenhaft waren die Umrisse der Möbel zu erkennen, und prompt stolperte Axel über irgendetwas, das auf dem Boden lag. Gleichzeitig stieß er im Fallen eine Vase herunter. Glas zerbrach, Axel fluchte, der Lärm hätte einen Schwerhörigen aus dem Tiefschlaf gerissen. Ohne eine minimale Bewegung verharrten sie beide und warteten ab. Weit entfernt gab ein Auto kräftig Gas, irgendwo tickte eine Uhr, doch das Malheur schien unbemerkt geblieben zu sein.
    »Ohne Licht macht das keinen Sinn«, flüsterte Wencke, auch wenn inzwischen klar war, dass sie sich genauso gut in normaler Lautstärke unterhalten konnten.
    »Zu gefährlich, wenn dann jemand von draußen was durchscheinen sieht   …«
    »Soweit ich mich erinnere, standen auf den Ecktischen ein paar Kerzen.« Wencke versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, was sie bei den kurzen Besuchen in dieser Wohnung gesehen hatte, und tastete sich vorsichtig voran. Die Sofalehne, ein Kissen,daneben der kleine Holztisch, dann hielt sie eine Kerze in der Hand, schon recht heruntergebrannt, aber besser als nichts. Glücklicherweise lagen die Streichhölzer griffbereit daneben, sie riss eines an.
    Der orange Schein des Feuers verschaffte ihr einen kurzen Überblick, sie entzündete für Axel einen weiteren Wachsstumpen, dann sahen sie sich um. Das Nintendogerät des Jungen lag griffbereit auf dem Sofa, und kurz hielt Wencke dies für ein Indiz, dass doch noch jemand im Haus war. Jungen in seinem Alter ließen nur sehr selten ihr Nintendogerät im Stich. Auch Emil hätte seines sicher eingesteckt, aber man hatte ihm keine Zeit zum Kofferpacken gelassen   …
    Das Chaos ringsherum verriet hingegen, dass hier ein hektischer Aufbruch stattgefunden hatte, bei dem in kürzester Zeit entschieden werden musste, was benötigt wurde: Kleidungsstücke jeder Größe bedeckten die Sitzgarnitur und einen Großteil des Fußbodens. Zwei kleine Koffer, halb gepackt, standen zwischen Fernseher und Tisch.
    Im hinteren Teil der Wohnung waren drei Türen, hinter zweien lagen die Schlafzimmer, bis auf den letzten Zentimeter mit Möbeln vollgestellt. Insgesamt acht Betten zählte Wencke, in keinem davon wurde heute Nacht geschlafen. Das Bad lag zwischen den Schlafräumen und war ein dunkler, feuchter Raum, in dem es intensiv nach Putzmitteln und glücklicherweise etwas dezenter nach Urinstein roch. Die Waschbecken waren leer geräumt, in den Zahnputzbechern fehlten die Bürsten.
    Die Tür hinter dem Perlenvorhang, die in den Laden führte, stand offen. Ein Blick in die Schneiderei zeugte von einem überstürzten Aufbruch: Ein Kleid lag unter der Nähmaschine, das winzige Lämpchen über der Nadel beleuchtete eine

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