Todesbrut
Grundsatzdebatte anzufangen«, zischte Tim.
»Vorher hat ja keiner mit uns diskutiert«, konterte Akki, »sondern da wurde höchstens die Polizei gerufen, wenn wir kamen. Solange alles gut läuft, will keiner mit uns reden, und wenn es schiefgeht, auch nicht mehr.« Akkis Brille rutschte von der Nase und fiel hin. Er hob sie hoch. Jetzt hatte er Fettspuren von den Fingern auf den Gläsern. Er hasste es, wenn die Gläser nicht wirklich sauber waren. Er brauchte eine klare Sicht. Doch jetzt putzte er ausnahmsweise die Brille nicht, sondern lief zum Eingang vom zweiten Stall und verschwand darin.
»Hey, was hat der vor? Hilf uns löschen! Akki! Akki!«
Tim sauste mit seinem Rollstuhl hinter ihm her. Es hielt Josy kaum noch oben auf dem Dach. Sie konnte sich nur langsam bewegen, denn sie selbst hatte dafür gesorgt, dass es glitschig wurde. Sie hatte Angst, auszurutschen und abzustürzen.
Inzwischen hatte das zweite Gebäude Feuer gefangen. Ubbo Jansens Versuche, das zu verhindern, hatten nichts gebracht.
Josy rannte zu Tim und Akki in den Stall. Sie nahm eine Qualmwolke mit hinein. Es wirkte, als käme der Qualm aus ihrem Pullover.
Akki hatte schon begonnen, die Volieren zu öffnen und die Gitter abzureißen.
»Es ist Unsinn, die Hühner freizulassen«, rief Josy. »Wir müssen die Ställe verteidigen.«
»Warum ist es sinnlos, sie freizulassen?«
»Weil sie hier drin sicherer sind als draußen. Hast du nicht gesehen, dass da draußen eine Meute mit Gewehren steht? Die knallen auf alles, was Federn hat. Ja, so irre es klingt, hier in der Legebatterie ist der einzig sichere Ort für das Federvieh.«
Akki tippte sich gegen die Stirn. »Das kann doch nicht wahr sein! Wir verteidigen den Hühnerknast?«
»Ja«, sagte sie, »genau das tun wir. Weil es jetzt sinnvoll ist. Eine veränderte Lage erfordert eine veränderte Reaktion. Wir können den alten Mist nicht einfach weitermachen …«
»Das war kein alter Mist! Wie redest du denn?«
Wie ein Rachegott erschien der nasse Ubbo Jansen mit versengten Haaren in der Legebatterie. Zynisch sagte er: »Ja, wenn dann alle so weit sind, können wir ja ins Plenum gehen und dann zur Abstimmung schreiten … Beeilt euch lieber, bevor auch dieser Stall niedergebrannt ist!«
In dem Moment krachte es. Ein zusammengestürztes Gebäudeteil versperrte den Ausgang.
»Scheiße!«, kreischte Josy. »Scheiße, wir sitzen fest!«
Ubbo Jansen behielt die Nerven. »Wir können dahinten raus.«
Aber als sie zwischen den Vogelkäfigen entlangliefen, quoll ihnen der Qualm bereits über den Boden entgegen. Und dann standen sie vor einer Flammenwalze.
Das Herz schlug Tim bis zum Hals. In seiner Panik wollte er mit dem Rollstuhl einfach in die Flammen rasen, in der Hoffnung, dass dahinter die Wand zusammengebrochen und der Weg nach draußen frei war. Doch Josy hielt ihn fest: »Bist du wahnsinnig?«
»Lass mich los! Lass mich los! Ich will hier raus!«
»Wir wollen alle hier raus! Oder denkst du, wir wollen hier verbrennen wie die Hühner?«
67 Frau Dr. Husemann und Bettina Göschl verstanden sich auf Anhieb. Bettina bot der Ärztin ein Glas Wasser an, doch sie lehnte ab. Sie hatte ein freundliches, offenes Gesicht und etwas Gütiges an sich, doch sie wirkte gejagt, wie eine Getriebene, die wusste, dass sie ihre Aufgabe ohnehin nicht bewältigen konnte. Aber im Scheitern wollte sie zumindest noch die Beste sein.
Leon wurde nicht wach, als sie ihn untersuchte. Sein Fieber war inzwischen auf 40,4 gestiegen.
»Angeblich«, sagte Frau Dr. Husemann, »gibt es inzwischen ein Schnellverfahren, mit dem das Virus festgestellt werden kann. Aber wir haben diesen Test noch nicht. Wobei … das ist auch nicht nötig, man kann es dem Jungen ansehen. Sein Körper kämpft gegen etwas, was ihn zerstören will. Ist es schnell gekommen?«
Bettina Göschl nickte. »Ja. Schnell. Fast anfallsartig. Er war sehr tapfer bis dahin und dann ging es schlagartig bergab.«
»Fantasiert er?«
»Nein, noch nicht.«
»Das kann jederzeit passieren.«
»Was können wir tun?«
Die Ärztin setzte sich aufrecht hin und sah Bettina Göschl ehrlich an. »Wir können versuchen, das Fieber zu senken, obwohl ich nicht weiß, wie sinnvoll das ist.«
»Nicht sinnvoll?«
»Manche Viren sind sehr wärmeempfindlich. Vielleicht peitscht der Körper das Fieber so hoch, um die Viren zu vernichten – laienhaft ausgedrückt. Uns fehlen noch die Erfahrungswerte, aber die wenigsten Viren oder Bakterien überstehen 42, 43
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