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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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und wir bringen die Verletzten erst mal in meine Ferienwohnung«, sagte Jörg Bauer. Niemand widersprach.
    »Ich habe solchen Durst«, stöhnte Dennis und ein Touristenjunge aus Köln, nicht viel älter als dreizehn, hielt ihm seine Cola hin. Dennis griff zu.
    Zwei Männer kamen ihnen entgegengelaufen. Sie hatten Taschenlampen dabei und einen Notfallkoffer. Es waren zwei Ärzte aus der Klinik Borkum Riff, die eigentlich gerade in den Feierabend hatten gehen wollen, als ein aufgeregter ehemaliger Patient der Rehaklinik sie informiert hatte.
    »Bitte«, rief Jutta, »Sie können mit dem Kind doch nicht ins Wasser! Kommen Sie zurück! Wir helfen Ihnen!«
    Aber Margit Rose war halb verrückt vor Angst. So hatte sie sich manchmal gefühlt, wenn die Alkoholvorräte plötzlich nicht mehr an Ort und Stelle gewesen waren. Wenn Kai ihre neuen Verstecke entdeckt und den Schnaps vernichtet hatte. Wenn das Verlangen nach Hochprozentigem übermächtig geworden und jeder Tropfen Alkohol in weite Ferne gerückt war. Das Zittern, das dann in ihrem Inneren begann, fürchtete sie fast noch mehr als die Kälte, die ihr Gehirn eineisen wollte. Dann musste sie vor allen Menschen weglaufen und eine Weile allein sein mit ein paar guten Drinks oder billigem Fusel – am Ende spielte das keine Rolle mehr. Nach vier, fünf Schnäpsen ging es ihr meist wieder besser, sie wurde wieder gesellig. Gesellschaftsfähig. Angstfrei. Angepasst.
    Sie klammerte sich an Viola wie an einen Rettungsring, den sie beschützen musste, und kreischte: »Haut ab! Haut alle ab!«
    »Ich hatte solche Angst um dich!«, sagte Chris jetzt und Benjo antwortete: »Ich dachte zwischendurch, ich pack es nicht, aber dann habe ich an dich gedacht, und das hat mir Kraft gegeben. Es war wie eine Energieleitung von dir zu mir.«
    Jutta und Petra, die beiden Freundinnen, näherten sich Margit Rose von zwei Seiten. »Ruhig. Ganz ruhig. Geben Sie uns das Kind.«
    »Der Mann da muss dringend versorgt werden«, sagte Jörg Bauer zu den Helfern von der Klinik Borkum Riff und deutete auf Kai Rose.
    »Hilfe! Benjo, hilf mir!«, kreischte Margit und versuchte zu entkommen. Sie stand schon bis zum Bauchnabel im Wasser. Eine Welle warf sie um.
    »Ich … ich melde mich gleich wieder«, sagte Benjo. »Ich werde da gebraucht.«
    »Benjo! Hiilfee!«
    Chris hörte den verzweifelten Frauenschrei und spürte einen Stich Eifersucht. Dann raschelte es und Benjo keuchte, bevor er – sie ahnte es – das zweite Handy an diesem Tag im Nordseewasser verlor.
    Vor Benjo tauchte Margit Rose in der Dunkelheit auf, aber sie hatte Viola nicht mehr auf dem Arm. Sie brachte keinen Ton heraus, sondern guckte nur panisch um sich. In dem dunklen Wasser war es unmöglich, das Kind zu sehen. Benjo tauchte einfach mit ausgebreiteten Armen und bewegte sich in die Richtung, aus der Margit gekommen war.
    Sie flehte den Himmel an: »Nicht, lieber Gott! Nicht das!«
    Die Menschen an Land verstanden sofort, was geschehen war, und fast alle, die gerade noch am Seehundzaun gestanden hatten, rannten zu der schreienden Frau und stürzten sich in die Fluten.
    Petra und Jutta waren zuerst bei ihr. Margit Rose wusste nicht, wohin mit ihrer Verzweiflung, und schlug nach Jutta, doch in dem Moment tauchte Benjo auf und hielt Viola hoch über seinem Kopf. Sie schrie, also lebte sie, und Benjo trug sie erleichtert an Land. Einige Leute klatschten Beifall, andere wollten sich eine Beruhigungszigarette anzünden, aber ihre Glimmstängel waren im Salzwasser unbrauchbar geworden.
    Ein Hilfstrupp der Retter Borkums mit drei Bewaffneten kam heran, um »die Seehundbank dichtzumachen«. Der Applaus für Benjo machte sie mutlos.
    Ein siebzehnjähriges Mädchen, Elena, mit glatten, schulterlangen Haaren und einer viel zu engen Röhrenjeans, stellte sich ihnen allein in den Weg und schimpfte stellvertretend für alle: »Verzieht euch, ihr blöden Schweine! Lasst euch nicht mehr sehen! Ihr seid schlimmer als die Pest!«
    Sie trollten sich. Ohne einen Anführer wie Cremer fehlte ihnen ein gutes Argument, um zu tun, was sie eigentlich vorhatten. Sie brauchten jemanden, der ihnen das sichere Gefühl gab, auf der richtigen Seite zu stehen und für eine gute Sache das Notwendige zu tun. Ohne solch eine dominante Gestalt, die ihnen den Rücken stärkte und die Argumente zum Handeln lieferte, waren sie leicht zu verunsichern und viele von ihnen hielten sich dann doch lieber heraus. Sie hatten Sorge, etwas Falsches zu tun und, statt zu Helden, zu

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