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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Sprachregler herunterfuhr, um ihr weiter zuhören zu können.
    »Die Schweine, diese Schweine! Die wollen dreißigtausend. Dreißigtausend! Kannst du dir das vorstellen?«
    »Wofür?«
    »Für den Flug nach London, von dem ich dir erzählt habe. Im Ernst! Ich dachte erst, ich hätte mich verhört, aber der Typ am Schalter hat gesagt, das ginge nach Angebot und Nachfrage. Und es gibt Leute, die haben das Geld und sind bereit, es zu bezahlen, nur um irgendwie nach Europa zu kommen.«
    Eigentlich wollte Tim ihr erzählen, was hier in Emden los war, doch jetzt staunte er. »Das ist garantiert nicht legal. Da kannst du dich beschweren und dann verliert der seinen Job.«
    Kira lachte bitter. »Ja, vermutlich. Aber ich will hier keine Beschwerdebriefe schreiben. Ich will nach Hause.«
    Tim hörte sich fragen: »Willst du Papa um das Geld bitten? Er findet bestimmt Mittel und Wege …«
    Er wusste, dass Kira Nein sagen würde, aber seine Frage machte ihn selbst traurig, denn obwohl sie den Kopf schüttelte und sich auf die Oberlippe biss, hatte er damit ungewollt ein altes giftiges Fass aufgemacht. Für sie würde ihr Vater alles tun. Notfalls ein Flugzeug entführen, um seine Tochter zu retten, und dabei käme er sich äußerst heldenhaft vor. Für Tim, seinen Sohn, war ihm dagegen jede Kleinigkeit lästig und er half ihm eigentlich nur, weil er nicht wollte, dass irgendwo irgendwann ein gescheiterter Jansen herumhing und sich über seinen lieblosen Vater beschwerte. Dabei hatte er, Tim, sich immer nur als jemand gefühlt, der bedürftig war, während sein Vater und Kira aus dem Vollen zu schöpfen schienen.
    Jetzt war es einmal umgekehrt. Kira brauchte Hilfe, sah ratlos aus, statt Hilfe zu geben und anderen Ratschläge zu erteilen.
    Einmal, in der Zeit der Trennung, hatte sein Vater in einem hässlichen Telefongespräch mit seiner Mutter in den Hörer gebrüllt: »Er ist ein Nehmer. Das hat er von dir! Du nimmst auch immer nur!«
    Es war klar, dass er damit gemeint war, obwohl sein Name nicht gefallen war. Dieser Satz hatte ihn lange verfolgt. Er wollte kein »Nehmer« sein. Das klang wie »Dieb«. Nach dem Unfall war er erst recht zum Nehmer geworden. Zwar hätte er im Grunde lieber auf der Müllkippe gelebt, als sich von seinem Vater aushalten zu lassen und von dessen Tierquälerei zu profitieren, aber es ging nicht anders. Allerdings hatte er eine Möglichkeit gefunden, sich zu arrangieren. Er lebte hier auf der Hühnerfarm und von der Hühnerfarm, aber er war so eine Art U-Boot der Tierschützer geworden. Er nutzte sein Hiersein, um die Öffentlichkeit zu informieren und den radikalen Tierschützern Stoff für ihre Pläne zu liefern. So hatte er alles für sich unter einen Hut gebracht. Er war versorgt und blieb doch moralisch sauber. Kira durfte die tolle Tochter spielen, die sich in aller Welt nützlich machte, und er war der missratene Sohn.
    Er fand es eine tolle Idee, dass sein Vater sich in Schwierigkeiten brachte, wenn er Kira half. Er, Tim, wollte nicht länger das Sorgenkind sein, sondern die Stafette weiterreichen. Jetzt war endlich mal seine Schwester dran. Gleichzeitig hatte er Angst um sie, wollte sie am liebsten in den Arm nehmen und an sich drücken.
    »Was hast du jetzt vor?«, fragte er.
    Sie verzog den Mund, wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht und fühlte dabei, dass ihre Wange feucht war. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie zum letzten Mal vor Wut geweint hatte.
    »Ich sitz hier fest, Tim. Wir kommen hier alle nicht raus. Was ist los mit dieser Scheißwelt? Was?«

 
    23 Dr. Maiwalds Lachfältchen, die seine Kollegin Linda aus der Klinikverwaltung so sympathisch fand und die sie manchmal dazu brachten, von ihm zu träumen, hatten sich in Sorgenfalten verwandelt. Sie waren immer noch an denselben Stellen, aber sie wirkten jetzt anders.
    Es hatte mit seinem getrübten Blick zu tun. Seine Augen hatten den Glanz verloren. Er strahlte nicht mehr humorvoll, sondern er sah zurückhaltend aus wie jemand, der mehr wusste, als er sagte, weil er die anderen Menschen nicht schockieren wollte. Etwas an seiner Körperhaltung sagte ihr, dass er befürchtete, die ganze Wahrheit über das Grippe-Szenario sei zu schlimm, um ausgesprochen zu werden.
    Er war in den Krisenstab der Stadt berufen worden und hatte sich entschlossen, nicht zu dessen erster Sitzung zu gehen. Er wurde jetzt hier gebraucht, mehr denn je. Er telefonierte gerade mit der Bürgermeisterin Kerstin Jansen. Der Verlauf des

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