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Todesbrut

Todesbrut

Titel: Todesbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Besichtigung musste abgebrochen werden. Danach, in seinem Zimmer, hatte er genau dies beobachtet. Sie saß zusammengesunken wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa, das Gesicht unter ihren wirren Haaren versteckt wie unter einer arabischen Burka. Sie schluchzte immer wieder laut und ihr Körper zuckte dabei, dann strich sie sich plötzlich die Haare aus dem Gesicht und putzte sich seelenruhig, ohne dabei Luft zu holen, die Nase. Sie schüttelte sich einmal kurz, sah auf und war eine andere. Sie sprach scharf und klar und sie forderte, die Kritik am herrschenden Tierquälersystem dürfe nicht länger nur durch wirkungslose Flyer ausgedrückt werden, wie sie sie in Fußgängerzonen den Leuten in die Hand drückten. Sie meinte damit militante Tierbefreiungsaktionen, das war klar.
    Es war ihm nicht leichtgefallen, seinen Standpunkt zu erläutern. Wo sollten all die Hühner hin? Wenn man sie freiließe, würden sie elend verrecken, sagte er. Aber sie hatte für seine Meinung nur Hohn übrig. »Klar, wo sollen all die Häftlinge nur hin, wenn wir sie freilassen? Sie können gar nicht selbst für sich sorgen. Besser, sie bleiben bei uns im KZ, da wird wenigstens für sie gesorgt, bis wir sie umbringen. Alles im Rahmen der Gesetze natürlich, versteht sich. In diesem Fall der Tierschutzgesetze. Wie hießen die damals noch? Rassengesetze?«
    Er hatte sich über ihre Worte so sehr aufgeregt, dass er zu stottern begann. »Man … man kann die Tierschutzgesetze doch nicht mit den Rassengesetzen vergleichen und den Massenmord an den Juden nicht mit dem Schlachten von Tieren!«
    Sie war aufgesprungen und hatte mit dem Zeigefinger auf seine Brust eingestochen wie mit einem Messer.
    »Ach ja? Die Tierschutzgesetze dienen nicht dem Tierschutz. Sie heißen bloß so. Sie machen das massenhafte organisierte Töten möglich. Es gibt sogar Gesetze, die regeln, wie viel Raum ein Rind braucht, wenn man es zum Schlachten kreuz und quer durch Europa fährt, um die höchsten Subventionen zu kassieren. Die Gesetze der Nazis waren auch dazu da, eine Rasse auszuplündern und dann gezielt zu vernichten.«
    Seine Empörung hatte sie nicht beeindruckt. Sie drängte jeden, der an der Massentierhaltung und Schlachtung beteiligt war, in die Nähe der Faschisten. Er fand ihre ganze Argumentation schräg, unzulässig, ja gemein. Trotzdem übte Josy in ihrer Wut eine große Faszination auf ihn aus.
    Er warf ihr eine Verharmlosung des Holocaust vor, aber sie lachte bitter und zeigte nur um sich: »Du sitzt hier wie die Made im Speck, mit einem Vater, der das alles aus Profitgier organisiert, und bist natürlich froh, dass es Leute gab, die noch schlimmer waren. Aber für mich seid ihr gleich. Die Nazis und die Tierquäler. Was unterscheidet den Faschismus schon groß vom heute herrschenden Speziesismus?«
    Er hatte das Wort noch nie gehört, sie ersparte es ihm, die Frage zu stellen. Sie erklärte mit erhobenem Finger, wie eine strenge Lehrerin: »Mit Speziesismus meint man, dass Lebewesen aufgrund ihrer unterschiedlichen Art ungleich behandelt werden. Wir Menschen – im Allgemeinen – fühlen uns den anderen Arten so sehr überlegen, dass wir glauben, mit ihnen machen zu können, was wir wollen. Versklaven, töten, aufessen … So, wie wir heute voller Verachtung und mit Kopfschütteln auf die alten Kolonialisten herunterschauen, die Menschen gefangen und als Sklaven verkauft haben, so wie wir die Nazis mit ihrem Rassenwahn verachten, so werden wir uns einst fragen, warum wir das System des Speziesismus allen Lebewesen gegenüber nicht kritisch hinterfragt haben. Willst du dann zu denen gehören, die mal wieder nichts gewusst haben?«
    Er hatte dieses Gespräch nie vergessen. Es hatte ihn verändert, einen Stein ins Rollen gebracht. Es waren aber nicht nur ihre Worte gewesen, sondern ihre Tränen, ihre wahrhaftige Betroffenheit, was ihn so tief beeindruckt hatte.
    Manchmal fragte er sich, ob er nur für sie Vegetarier geworden war. Aber sie war immer ein bisschen weiter als er, immer ein ganzes Stück radikaler. Sie trieb alle vor sich her, den ganzen Haufen der radikalen Tierschützer, der sich »Red Cloud« nannte, und Akki und ihn sowieso. Sie selbst lebte vegan. Sie aß nicht einmal Schokolade, weil bei der Herstellung Milch verwendet wurde.
    »Alle reden von der Milch …«, stand vorn auf ihrem T-Shirt und hinten: »Aber wer denkt schon über das Leben einer Kuh nach?«
    Etwas war heute anders als sonst. Diesmal kam sie allein zu Besuch. Eigentlich

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