Todescode
hatte sie schon eine Weile gekannt, bevor sie miteinander ins Bett gingen, und alles, was danach geschah, hatte Struktur und Kontext gehabt. Der Mann, der jetzt nackt neben ihr lag … über ihn wusste sie praktisch gar nichts, und das wenige, das sie wusste, war bestenfalls beunruhigend. Er war ein Killer. Er stand für – ja, verkörperte – Dinge, die sie verabscheute. Er war seelisch verletzt, er war gewalttätig, er war das krasse Gegenteil von allem, was sie zuvor als passend empfunden hatte. Also warum? Was hatte er?
Sie lächelte. Wieso sich so viele Gedanken machen? Wenn er wach wurde, würde sie ihn erneut verführen. Das würde einstweilen genügen, und danach konnten sie ja sehen, was sich ergab.
Sie hätte gern mehr über sein Verhältnis zu Alex erfahren. Aber er war zugeknöpft gewesen. Und sie wollte ihn nicht bedrängen.
Obwohl, sie wunderte sich. Sie verstand nicht, wie Alex Ben die Schuld an Katies Tod geben konnte. Erstens, weil Ben in ihren Augen keine Schuld trug, nicht wirklich. Und selbst wenn, wie konnte man so nachtragend sein? Gegenüber seinem eigenen Bruder? Sie rief sich in Erinnerung, dass sie ja nur die eine Seite der Geschichte kannte. Und Ben zeigte auch nicht gerade viel brüderliche Zuneigung zu Alex.
Aber warum war er dann hier? Wenn Alex ihm für das, was in der Familie passiert war, die Schuld gab, war Bens Rückkehr jetzt eine Art … Entschuldigung? Sühne? Und falls ja, warum konnte Alex das nicht annehmen?
Sarah beobachtete, wie Bens Brust sich hob und senkte. Am Anfang hatte sie ihn für einen simplen Schlägertypen gehalten, doch jetzt wurde ihr klar, dass er ihr dieses Image bewusst geliefert hatte und sie es nur allzu bereitwillig geschluckt hatte. In Wahrheit war er höchst intelligent. Die Sachen, die er in der Bar über sie gesagt hatte … ja, er hatte sie verletzen wollen, aber er hatte einiges genau durchschaut.
Sie überlegte kurz, ob sie ihm für seine Einsichten zu viel Anerkennung zollte. Wenn nämlich ein Hohlkopf so tief in sie hineingeschaut hatte, konnte das nur bedeuten, dass sie selbst ein wenig seicht war, zu leicht zu durchschauen. Da war es besser, an seinen laserscharfen Tiefblick zu glauben, als bei sich selbst eine durchsichtige Oberflächlichkeit zu vermuten.
Oder suchte sie vielleicht nach einer Möglichkeit, seine Intelligenz in Abrede zu stellen, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass sie zuvor bei ihm völlig falschgelegen hatte?
Sie lachte leise. Sie benahm sich idiotisch, analysierte hier vor sich hin, statt es einfach gut sein zu lassen und endlich zu schlafen. Die Sonne würde in nur wenigen Stunden aufgehen. Auf sie und Alex wartete noch reichlich Arbeit, wenn sie rausfinden wollten, was Obsidian für sie so gefährlich gemacht hatte.
Alex. Ob er wirklich in sie verliebt war? Sie hatte ihm nie irgendwas angemerkt. Andererseits war er auf seine Art genauso beherrscht und kontrolliert wie sein Bruder. Sie musste nur an die Abgründe seiner Familiengeschichte denken. Nichts davon hatte sie ihm je irgendwie angemerkt, nicht mal geahnt. Wer konnte sagen, was sonst noch alles unter der glatten Oberfläche brodelte? Vielleicht hatte sie zu wenig in ihm gesehen. Andererseits, was blieb ihr anderes übrig, wenn er so wenig von sich preisgab?
Bei dem Gedanken an ihn meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Falls Ben recht hatte und Alex mitbekam, was sich heute Nacht hier abgespielt hatte, würde das ihre Situation wahrscheinlich nur noch komplizierter machen.
Na, es bestand kein Grund, dass er es erfuhr. Sie würden es ihm bestimmt nicht unter die Nase reiben, und er würde es nicht herausfinden.
Sie legte den Kopf aufs Kissen und stieß einen langen Seufzer aus. Sie spürte, wie der Schlaf sie endlich übermannte, und bevor sie sich ihm überließ, galt ihr letzter Gedanke dem, was Ben in der Bar gesagt hatte: dass ihr das alles im Nachhinein wie ein Traum vorkommen werde.
27 Wir sind fertig miteinander
Alex saß vorgebeugt am Schreibtisch und ließ die Augen über den Laptopbildschirm gleiten, während er Hilzoys Notizen zum, wie es ihm vorkam, tausendsten Mal las. Die ganze Nacht hindurch war er die Notizen vorwärts, dann rückwärts, dann querbeet durchgegangen. Er hatte gehofft, wenn er sich Hilzoys Denkweise unsystematisch annäherte, würde er vielleicht entdecken, was er und Sarah übersehen hatten. Aber nichts.
Die Obsidian-Toolbar war wie eine typische handelsübliche Software-Anwendung gestaltet, mit horizontal
Weitere Kostenlose Bücher