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Todescode

Todescode

Titel: Todescode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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Und du hättest dich anschließend in den Schlaf weinen können, weil jeder starb, den du liebtest, und weil du es nicht noch einmal ertragen konntest. Aber dir blieb ja nichts anderes übrig. Du musstest. Weil ja sonst keiner da war. Auch das war praktisch, du Arschloch.
    Sein Bildschirmschoner schaltete sich ein, ein Bild von einer Galaxie oder so erschien, endloses Schwarz übersät mit fernen Sternen und wirbelnden violetten Nebeln.
    Zur Hölle damit. Er würde jetzt bei Obsidian keinen Schritt weiterkommen. Er stand auf und fing an, auf und ab zu gehen.
    Was Alex zu schaffen machte, war nicht nur, dass Ben trotz seiner vielen Kriegsorden im Grunde ein Feigling war. Nicht einmal seine heuchlerische Unterstellung, Alex hätte sich nur deshalb um ihre Mutter gekümmert, weil es ihm möglich gewesen war, während er selbst keinen Finger gerührt hatte. Zu schaffen machte ihm Bens Weigerung, durch Taten oder auch nur durch ein einziges Wort der Reue einzugestehen, dass so vieles, was geschehen war, durch seine Schuld geschehen war. Wenn Ben das einfach einmal zugeben könnte, könnte Alex vielleicht seinen Frieden damit schließen. Aber dass Ben sich aufführte, als hätte er nicht das Geringste falsch gemacht … das machte es noch falscher.
    Ihre Eltern hatten Katies Tod nie verwunden. Es war, als hätte Katies Dasein, Katies Leben, die beiden aufrecht gehalten, während ihre Existenz ohne Katie Sprünge bekam, Haarrisse, die zuvor unsichtbar und unerheblich waren, aber plötzlich zu immer tieferen Spalten und Brüchen wurden, bis das ganze Gefüge ins Wanken geriet.
    Zu Anfang war die Veränderung eher bei seiner Mutter zu bemerken gewesen. Sie hatte sich in gemeinnützige Arbeit gestürzt: Schulspendensammlungen, Wahlhelfereinsätze, Kirchenaktivitäten, obwohl sie vorher nur ganz selten zum Sonntagsgottesdienst gegangen war. Sie redete plötzlich ununterbrochen und musste obendrein immer den Fernseher oder das Radio laufen haben. Sie schien ständig in Bewegung zu sein. So als könnte sie die Stille nicht mehr ertragen, aus Angst vor dem, was hochkommen könnte, wenn es nicht von einer Geräuschkulisse aus Ablenkungen niedergehalten wurde.
    Sein Vater zeigte die gegenteilige Reaktion. Obwohl er ohnehin kein sonderlich gesprächiger Mensch gewesen war, wurde er nun noch wortkarger. Er hatte tiefe Ringe unter den Augen bekommen, und er schien auch körperlich zu schrumpfen: Seine Schultern hingen herab, seine Haltung wurde schlaffer, sein Gang müde und schlurfend, wo er sich zuvor selbstbewusst und energisch bewegt hatte. Er verbrachte viel Zeit im Büro, und wenn er zu Hause war, beschäftigte er sich immer allein: das Auto polieren, irgendwas in der Garage reparieren oder Amateurfunken, ein Hobby, das er hinter der geschlossenen Tür seines Arbeitszimmers betrieb. Er kommunizierte überwiegend mit knappen Wörtern wie »ja« und »nein«, »klar« und »okay«. Ben war in der Zeit viel zu Hause, und das Einzige, was die ganze Aufmerksamkeit ihres Vaters weckte, waren Auseinandersetzungen mit ihm darüber, dass er erst seinen Abschluss in Stanford machen sollte, ehe er zur Army ging. Ansonsten war er so teilnahmslos, so aus dem Gleichgewicht geraten, dass ein kleiner Schubs genügt hätte und er wäre vollends in die Dunkelheit abgestürzt. Am meisten ängstigte Alex das Gefühl, dass es seinem Vater nicht mal was ausmachen würde, wenn das geschah.
    Und dann erklärte der idiotische, selbstsüchtige Ben nicht mal ein Jahr nach Katies Tod, dass er die Uni schmeißen und zum Militär gehen würde. Einen Monat später hatte sein Vater in seinem Büro Tabletten geschluckt. Alex hatte nie alle Einzelheiten erfahren, wusste aber, dass sein Vater es so arrangiert hatte, dass er von einem Kollegen gefunden werden musste, um seiner Familie das Trauma zu ersparen. Als wäre es auf ein kleines Trauma mehr noch angekommen.
    Er hatte einen handschriftlichen Abschiedsbrief hinterlassen, den Ben und Alex lesen durften, ehe ihre Mutter ihn verbrannte. Alex fand das damals seltsam, aber andererseits … Was machte man mit dem Abschiedsbrief eines Selbstmörders?
    Es tat ihm schrecklich leid, stand in dem Brief. So schrecklich leid, aber er glaubte, dass es so besser für alle war. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Katie ihn vielleicht brauchte und er nicht für sie da war. Sie drei hatten ja noch einander. Er konnte Katie nicht allein lassen.
    Alex ging erst in die zehnte Klasse, doch durch Katies Verlust, den er im

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