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Todescode

Todescode

Titel: Todescode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Eisler
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Leichtigkeit ziehen.
    Auf dem Weg aus der Siedlung kam er an zwei geparkten Volvos vorbei. Beide Male drückte er den Entriegelungsknopf des Autoschlüssels, den er bei dem Toten gefunden hatte, und hoffte, dass ihm das Glück hold war. Vergeblich. Okay, erledige erst diese Sache und komm später noch mal wieder. Zu riskant, auf der Suche nach dem Auto des Typen durch die Gegend zu kutschieren, wo seine Leiche im Kofferraum noch nicht mal kalt geworden war.
    Zwei Minuten später war er wieder auf der I-280 und fuhr in nördlicher Richtung. Er legte zwei Stopps ein: einmal am San Andreas Lake, wo er in die Leiche die erforderlichen Löcher stach, damit sie nicht wieder an die Wasseroberfläche kam, ehe er sie zusammen mit dem Revolver und der Nachtsichtbrille des Toten sowie dem Messer, das er für die Belüftung der Leiche benutzt hatte, in den See warf; das zweite Mal an einem Müllcontainer im Mission District, wo er die blutverschmierte Plane entsorgte. Dann fuhr er zurück zum Hotel, mit einem grimmigen Lächeln, als er an Sarah dachte. Sie würde ganz schön Augen machen, wenn er plötzlich vor ihr stand.

24 Virus
    Nachdem Ben gegangen war, klappte Alex erneut seinen Laptop auf und arbeitete weiter an Obsidian und Hilzoys Notizen. Doch er konnte sich nicht richtig konzentrieren.
    Vielleicht hätte er sich das mit dem Friedhof verkneifen sollen. Aber es war nicht seine Schuld, dass Ben nicht damit klarkam. Ein simpler Vorschlag, eine Bitte, sein Bruder möge doch mal das Grab seiner Familie besuchen, und schon rastete der tapfere Held aus. Was sollte Alex denn machen? Ihn mit Samthandschuhen anfassen aus Angst, Ben könnte bei der kleinsten Provokation an die Decke gehen? Das war lächerlich.
    Er fühlte sich schlecht und beschwingt zugleich. Schlecht, weil er ein paar harte Dinge gesagt hatte, Dinge, an die er lange nicht gedacht und die er nie zuvor auszusprechen gewagt hatte. Beschwingt, weil es höchste Zeit war, dass Ben sie zu hören bekam. Vor allem aber war er wütend – zornig sogar – darüber, dass ausgerechnet Ben, der sich kein einziges Mal hatte blicken lassen, als ihre Mutter krank war und im Sterben lag, Alex jetzt unterstellte, er hätte sich bloß deshalb um sie gekümmert, weil es praktisch für ihn gewesen wäre. Weil es ihm eine Art Vorwand verschafft hätte, nicht irgendwo anders hingehen oder etwas anderes machen zu können.
    Praktisch? Ich wünschte, du wärest da gewesen, um ihr den Kopf zu halten, wenn sie sich nach der Chemo die Seele aus dem Leib kotzte. Um mitanzusehen, wie sie immer mehr verfiel und bis auf die Knochen abmagerte. Um sie mit allen Tricks dazu zu bringen, doch noch einen Bissen mehr zu nehmen. Na los, Mom, das schmeckt gut, bloß noch einen Löffel, schaffst du das? Nein? Möchtest du etwas anderes? Ich koch dir was, kein Problem. Oder ich fahr rasch zu dem Deli im Shopping-Center. Du musst es nur sagen, Mom. Iss doch noch was. Bloß einen Bissen. Bitte. Bitte, Mom.
    Er hatte eine Pflegerin engagiert, aber die hatte nicht rund um die Uhr da sein können, und Alex hatte mehr als eine Schweinerei weggemacht, als seine Mutter ihre Verdauung nicht mehr kontrollieren konnte, hatte versucht, sie danach zu trösten, irgendwie ihre Schamgefühle zu beruhigen und ihre zusammenbrechende Würde wiederaufzurichten.
    Er erinnerte sich an ihr schwaches Lachen über seine lahmen Witze.
Na komm, Mom, was soll das denn? Du hast das Gleiche auch mal für mich gemacht, weißt du nicht mehr?
Er erinnerte sich an seine Verzweiflung, als ihm klarwurde, dass sie nur so tat, als ob sie sich besser fühlte, damit
er
sich besser fühlte. Er erinnerte sich an den schwärzesten aller Augenblicke, als er begriff, wirklich begriff, dass sie sterben würde.
    Die meiste Zeit war sie stark gewesen, aber dennoch, manchmal bekam die Fassade plötzlich Risse, und sie fing wie aus dem Nichts an zu weinen.
Ich habe Angst, Schatz. Solche Angst. Sieh mich bloß an, von wegen starke, tapfere Mommy.
    Er schloss die Augen und rieb sich die Schläfen. Es war erstaunlich, wie klar diese Augenblicke, diese Bilder noch in seinem Kopf waren. Es konnten Monate, Jahre vergehen, ohne dass irgendetwas aus dieser schrecklichen Zeit an die Oberfläche kam, und dann auf einmal war sie da, die Erinnerung, lückenlos in hoher Auflösung, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
    Ja, du hättest versuchen können, ihr in die Augen zu sehen, wenn sie weinte, während du sie anlogst, dass alles wieder gut werden würde.

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