Todesdämmerung
Rottannen Schatten spendeten. Sie hatten noch den größten Teil der Lebensmittel, die sie am Tag zuvor in Santa Barbara gekauft hatten, waren jedoch nicht dazu gekommen, sie im Kühlschrank des Motels zu verstauen. Was davon verderblich gewesen war, hatten sie bereits weggeworfen und mußten es jetzt nachkaufen: Milch, Eier, Käse, Eiscreme und Tiefkühlkost aller Art.
Auf Charlies Bitte packte die Frau an der Kasse das Eis und die andere Tiefkühlkost in einen kräftigen Pappkarton mit Deckel, getrennt von anderen, nicht tiefgekühlten Le bensmitteln. Auf dem Parkplatz schnitt Charlie vorsichtig ein paar Löcher in den Karton. Er hatte in dem Supermarkt eine Nylonwäscheleine gekauft und fädelte das Seil jetzt mit Christines Hilfe durch die Löcher, schlang es um den Karton und befestigte ihn auf dem Dach träger des Jeeps. Die Außentemperatur lag unter dem Gefrierpunkt; auf die Weise bestand keine Gefahr, daß auf der Fahrt zu der Hütte etwas auftauen würde.
Während sie damit beschäftigt waren (und Chewbacca in teressiert aus dem Jeep zusah), stellte Christine fest, daß viele Fahrzeuge auf dem Parkplatz mit Skiträgern ausgestattet waren. Sie hatte immer Skifahren lernen wollen und sich oft vorgenommen, eines Tages mit Joey Stunden zu nehmen, sobald er dafür alt genug war. Das hätte sicher Spaß gemacht. Jetzt war das vermutlich auch eines der Dinge, die sie nie zusammen tun würden.
Das war ein verdammt düsterer Gedanke. Ungewöhnlich düster.
Sie wußte, daß sie unter keinen Umständen den Mut aufgeben durfte, schon um Joeys willen. Er würde ihren Pessimismus ahnen und noch tiefer in das seelische Loch kriechen, das er anscheinend für sich selbst grub.
Sie konnte die Bedrückung nicht abschütteln, die auf ihr lastete. Ihre Stimmung war auf dem Tiefpunkt, und es schien nichts zu geben, was sie wieder in Schwung bringen konnte.
Sie redete sich selbst ein, saubere, frische Bergluft zu genießen, aber sie schien ihr nur schmerzhaft und beißend kalt. Wenn Wind aufkam, würde das Wetter unerträglich sein.
Sie sagte sich, daß der Schnee schön war und sie Freude daran haben sollte. Aber er wirkte feucht und kalt und unfreundlich.
Sie sah Joey an. Er stand neben ihr und sah zu, wie Charlie den letzten Knoten in die Wäscheleine knüpfte. Er wirkte eher wie ein kleiner alter Mann als wie ein Kind. Er machte keinen Schneeball, er streckte nicht die Zunge heraus, um Schneeflocken aufzufangen. Er rannte auch nicht auf dem vereisten Parkplatz herum oder versuchte zu schlittern. Er tat nichts von alledem, was man eigentlich von einem kleinen Jungen erwartete, der zum erstenmal richtigen Schnee erlebte.
Er ist einfach müde, und ich bin das auch, sagte sich Christine. Es war ein langer Tag. Seit letztem Samstag haben wir beide keine ruhige Nacht mehr verbracht. Sobald wir ordentlich zu Abend gegessen und acht Stunden Schlaf hinter uns haben, ohne Alpträume und ohne ein dutzendmal aufzuwachen, weil wir uns einbilden, Schritte zu hören, werden wir uns besser fühlen.
Aber sie konnte sich auch nicht selbst davon überzeugen, daß sie sich morgen besser fühlen oder daß ihre Lage sich verbessern würde. Trotz der Entfernung, die sie zurückgelegt hatten, und der Abgeschiedenheit des Zufluchtsortes, dem sie entgegenstrebten, fühlte sie sich nicht sicher. Und dies nicht nur, weil es da ein paar Tausend religiöse Fanatiker gab, die sich mehr als alles andere ihren Tod wünschten; das war schon schlimm genug. Aber da war auch etwas eigenartig Erstickendes an den mächtigen Bäumen, die rings um sie aufragten und aus allen Richtungen hereinzudrängen schienen, etwas Klaustrophobisches an der Art, wie die Berge sie einengten, eine undefinierbare Drohung in den schroffen Schatten und dem grauen Winterlicht dieser Landschaft. Sie würde sich hier nie sicher fühlen.
Aber es waren nicht nur die Berge. Sie hätte sich auch anderswo nicht sicherer gefühlt.
Sie verließen die Hauptstraße, die um den See herumlief, bogen in eine schmalere Straße, die sich ein paar steile Abhänge hinaufwand, vorbei an teuren Häusern und Berghütten, die zwischen die dicht beieinanderstehenden, mächtigen Bäume hineingepackt waren. Wenn in diesen Häusern kein Licht gebrannt hätte, das warm aus den purpur-schwarzen Schatten unter den Bäumen herausglühte, hätte man nicht gewußt, daß sie überhaupt dawaren.
Der Schnee war zu beiden Seiten der Straße hoch aufgetürmt, und an manchen Stellen gab es neue Schneewehen,
Weitere Kostenlose Bücher