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Todesdämmerung

Todesdämmerung

Titel: Todesdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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hinter den Fenstern der Hütte war wie ein willkommener Leuchtturm. Und wenn hin und wieder der jetzt fast mit Orkanstärke wehende Schneesturm ihnen den Blick auf diesen Leuchtturm verwehrte, mußte Christine die Panik verdrängen, stehenbleiben und warten, bis sie ihr Ziel wieder entdeckte; denn wenn sie weiterging, ohne das Licht zu sehen, dann geriet sie unweigerlich nach wenigen Schritten bereits in die falsche Richtung. Obwohl sie sich dicht bei Charlie hielt, konnte sie ihn häufig nicht sehen; die Sichtweite schrumpfte manchmal auf höchstens einen halben Meter.
    Der Schmerz in ihren Beinmuskeln verschlimmerte sich, und das Pochen in ihren Schultern und am Rüken wurde unerträglich; irgendwie fand auch die nächtliche Kälte ihren Weg durch all die Kleiderschichten. Aber obwohl sie den Sturm verfluchte, hieß sie ihn zugleich auch willkommen. Zum erstenmal seit Tagen fing sie an, sich sicherzufühlen. Dies war nicht nur ein Sturm; es war ein verdammter Blizzard! Sie waren jetzt von der Welt abgeschnitten. Isoliert. Bis es Morgen wurde, würden sie eingeschneit sein. Der Sturm war der beste Schutz, den sie sich wünschen konnten. Wenigstens ein oder zwei Tage würde Grace Spivey sie nicht erreichen können, selbst wenn sie durch irgendein Wunder ihren Aufenthaltsort erfuhr.
    Als sie schließlich die Hütte erreichten, fanden sie Joey in besserer Stimmung als beim Weggehen. Sein Gesicht hatte wieder Farbe bekommen. Zum erstenmal seit zwei Tagen war er wieder lebhaft und redselig. Er lächelte sogar. Der Wandel, der sich an ihm vollzogen hatte, war verblüffend und einen Augenblick lang unerklärlich. Aber dann wurde deutlich, daß der Sturm ihm ebensoviel Sicherheit verlieh wie Christine. Er sagte: »Jetzt kann uns nichts mehr passie ren, was, Mama? Eine Hexe kann in einem Blizzard nicht mit einem Besen fliegen, oder?«
    »Nee«, versicherte ihm Christine, während sie ihren Rucksack abnahm. »Sämtliche Hexen haben heute nacht Flugverbot.«
    »BHV-Vorschrift«, sagte Charlie.
    Joey musterte ihn verdutzt. »Was heißt BHV?«
    »Bundeshexenverwaltung«, sagte Charlie und schlüpfte aus seinen Stiefeln. »Das ist die Behörde, von der die Hexen ihre Lizenz bekommen.«
    »Braucht man eine Lizenz, um eine Hexe zu sein?« fragte der Junge.
    Charlie gab sich überrascht. »Aber sicher. Was denkst du denn? Meinst du vielleicht, jeder kann Hexe werden? Zuerst einmal muß ein Mädchen, wenn sie eine Hexe werden will, beweisen, daß sie einen bösartigen Zug an sich hat. Deine Mama zum Beispiel würde da nie durchkommen. Und dann muß man häßlich sein, weil Hexen immer häßlich sind. Und wenn eine hübsche Lady wie deine Mama eine Hexe werden möchte, muß sie sich operieren lassen, um häßlich zu werden.«
    »Mann«, sagte Joey leise und mit großen Augen. »Wirklich?«
    »Aber das ist noch nicht das Schlimmste«, sagte Charlie. »Das größte Problem, wenn man eine Hexe werden möchte, ist es, die hohen, spitzen, schwarzen Hüte zu finden.«
    »Echt?«
    »Nun, denk doch einmal nach. Du warst doch mit deiner Mama einkaufen, als sie dir Kleider besorgte. Hast du in irgendeinem der Geschäfte diese hohen schwarzen Hüte gesehen?«
    Der Junge runzelte die Stirn und dachte nach.
    »Nein, ganz sicher nicht«, sagte Charlie, während er einen der schweren Rucksäcke in die Küche trug. »Niemand verkauft diese Hüte, weil niemand möchte, daß die ganze Zeit Hexen in den Laden kommen. Hexen riechen wie Fledermausflügel, Molchschwänze und Salamanderzungen und all die anderen schrecklichen Dinge, die sie immer in ihren Kesseln sieden. Nichts verjagt schneller Kunden aus einem Geschäft als eine Hexe, die nach gekochter Schweineschnauze riecht.«
    »Puuh«, machte Joey.
    »Genau«, pflichtete Charlie ihm bei.
    Christine war glücklich und erleichtert, daß Joey sich wie der wie ein Sechsjähriger benahm; sie hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten. Sie wollte die Arme um Charlie legen, ihn an sich drücken und ihm für seine Kraft und die Art und Weise, wie er mit dem Kind umgehen konnte, danken - und einfach dafür, daß er so war, wie er war.
    Draußen heulte der Wind und fauchte und winselte und pfiff.
    Die Nacht umschlang die Hütte. Schnee schmückte sie.
    In dem Kamin im Wohnzimmer prasselten die großen Scheite und knisterten.
    Sie machten gemeinsam Abendessen. Nachher saßen sie auf dem Boden im Wohnzimmer und spielten Mensch-ärgere-dich-nicht, und Charlie erzählte Witze, die Joey höchst spaßig

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