Todesdämmerung
die kamen nicht von Gott; sie gingen von einer anderen Quelle aus, trugen den Gestank nach Pech und Schwefel. Mit solchen beunruhigenden Visionen versuchte Satan ihren Glauben zu zerstören, sie zu terrorisieren. Er wollte, daß sie kehrtmachte, floh, ihre Sendung aufgab. Sie wußte, was der Vater der Lügen im Schilde führte. Sie wußte es. Manchmal, wenn sie die Ge sichter ihrer sie umgebenden Jünger ansah, dann sah sie nicht deren wirkliches Antlitz, sondern verfaulendes Gewebe und von Maden durchsetztes Fleisch, und diese Visionen der Sterblichkeit erschütterten sie. Der Teufel, dessen Klugheit seiner Bosheit nicht nachstand, wußte, daß sie nie der Versuchung nachgeben würde; also bemühte er sich, ihren Glauben mit dem Hammer der Angst zu erschüttern.
Doch das würde ihm nicht gelingen. Niemals. Sie war stark.
Aber Satan fuhr fort, es zu versuchen. Manchmal, wenn sie zum stürmischen Himmel aufblickte, sah sie in den Wolken Visionen: grinsende Köpfe von Ziegenböcken, monströ se Schweinegesichter mit vorstehenden Fängen. Und da waren auch Stimmen im Wind: zischende, tückische Stimmen, die falsche Versprechungen machten, Lügen verbreiteten, von perversen Freuden sprachen, und ihre hypnotischen Schilderungen dieser unsäglichen Taten waren voll von Bildern bösartiger Schönheit.
Während sie sich in dem Schneemobil niederkauerte und vor dem Schützen oben an der Wiese Deckung suchte, sah Grace plötzlich ein Dutzend riesiger Küchenschaben, jede so groß wie ihre Hand, die über den Boden des Fahrzeugs krochen, über ihre Stiefel, nur Zentimeter von ihrem Ge sicht entfernt. Fast wäre sie angewidert hochgesprungen. Und das war es, was der Teufel wollte; er hoffte, daß sie ein besseres Ziel bieten und es damit Charlie Harrison leichtmachen sollte. Sie schluckte, würgte ihren Ekel hinunter und blieb zusammengekauert, wo sie war.
Sie sah, daß jede Küchenschabe anstelle eines Insektenkopfes den eines Menschen hatte. Ihre winzigen Gesichter, erfüllt von Schmerz und Ekel und Schrecken, blickten zu ihr auf; sie wußte, daß dies verdammte Seelen waren, die durch die Hölle gekrochen waren, bis Satan sie vor wenigen Augenblicken hierher befördert hatte, um ihr zu zeigen, wie er seine Untertanen marterte, um zu beweisen, daß seine Grausamkeit keine Grenzen kannte. Sie hatte solche Angst, daß sie fast die Kontrolle über ihre Blase verloren hätte. Während sie diese Insekten mit Menschengesichtern anstarrte, sollte sie sich fragen, wie Gott die Existenz der Hölle zulassen konnte. Das war es, was der Teufel mit dieser Taktik vorhatte. Ja, sie sollte sich fragen, ob Gott, indem er Satans Grausamkeit zuließ, nicht selbst grausam war. Sie sollte an der Tugend ihres Schöpfers zweifeln. Diese Vision sollte Verzweiflung und Furcht in ihr Herz tragen.
Dann sah sie, daß eine der Küchenschaben das Gesicht ih res verstorbenen Mannes Albert hatte. Nein. Albert war ein guter Mann. Albert war nicht zur Hölle gefahren. Das war eine Lüge. Das winzige Gesicht starrte sie an, schrie und gab doch keinen Laut von sich. Nein. Albert war ein lieber Mann, ohne Sünde, ein Heiliger. Albert in der Hölle? Albert für die Ewigkeit verdammt? Gott würde so etwas nicht tun. Sie freute sich darauf, im Himmel wieder mit Albert zusammenzusein. Aber wenn Albert den anderen Weg gegangen war...
Sie spürte, wie sie am Rande des Wahnsinns taumelte.
Nein. Nein, nein, nein. Satan log. Satan versuchte sie in den Wahnsinn zu treiben.
Das würde ihm Freude machen. Wenn sie wahnsinnig war, würde sie ihrem Gott nicht dienen können. Wenn sie auch nur den leisesten Zweifel an ihrer Zurechnungsfähig keit hatte, würde sie auch an ihrer Mission Zweifel haben, an ihrer Gabe und an ihrer Beziehung zu Gott. Sie durfte nicht an sich zweifeln. Sie war geistig gesund, und Albert war im Himmel, und sie mußte alle Zweifel unterdrücken, sich ganz dem blinden Glauben hingeben.
Sie schloß die Augen und weigerte sich, das zu sehen, was über ihre Stiefel kroch. Sie konnte sie fühlen, selbst durch das dicke Leder, aber sie biß die Zähne zusammen und lauschte dem Gewehrfeuer und betete, und als sie schließlich die Augen wieder aufschlug, waren die Küchenschaben verschwunden.
Für eine Weile war sie sicher. Sie hatte den Teufel abgewehrt.
Das Gewehrfeuer hatte ebenfalls aufgehört. Jetzt riefen Pierce Morgan und Denny Rogers, die zwei Männer, die sich oben am Waldrand hinter Charlie Harrison anschleichen sollten, zu ihnen herunter,
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