Todesdämmerung
daß der Weg frei war. Harrison wäre nicht mehr da.
Grace kletterte aus dem Schneemobil, sah Morgan und Rogers oben an der Wiese winken. Sie wandte sich der Leiche von Mike Rainey zu, dem ersten Mann, den Harrison erschossen hatte. Er war tot, hatte ein großes Loch in der Brust. Der Wind trieb Schnee über seine ausgestreckten Arme. Sie kniete neben ihm nieder.
Nach einer Weile trat Kyle neben sie. Seine Stimme zitterte vor Wut und Bedrückung. »O'Connor ist auch tot. Und George Westvec.«
Darauf sagte sie: »Wir wußten, daß einige von uns geopfert würden. Sie sind nicht umsonst gestorben.«
Die anderen sammelten sich um sie: Laura Panken, Edna Vanoff, Burt Tully. In ihren Gesichtern stand ebensoviel Zorn und Entschlossenheit wie Furcht. Sie würden nicht kehrtmachen und fliehen. Sie hatten ihren Glauben.
Grace sagte: »Mike Rainey ist jetzt im Himmel, in den Armen Gottes. Und ebenso...« Die Vornamen von O'Connor und Westvec wollten ihr nicht einfallen, und sie zögerte, wünschte sich erneut, daß die Gabe nicht so viel anderes aus ihrem Bewußtsein verdrängen möge. »Und ebenso Ge orge Westvec und... Ken... Ken... Kevin O'Connor... sie alle im Himmel.«
Allmählich wehte der Schnee ein Leichenhemd über Rainey s Leiche.
»Werden wir sie hier begraben?« fragte Laura Panken.
»Der Boden ist gefroren«, sagte Kyle.
»Laßt sie. Dafür ist jetzt keine Zeit«, sagte Grace. »Der Antichrist ist in Reichweite, aber seine Kraft wächst Stunde um Stunde. Wir dürfen nicht säumen.«
Zwei der Schneemobile waren unbrauchbar: Grace, Edna, Laura und Burt Tully bestiegen die verbliebenen zwei, während Kyle ihnen zu Fuß zum oberen Wiesenrand folgte, wo Morgan und Rogers warteten.
Tiefe Trauer durchpulste Grace. Wieder drei Tote.
Sie zogen weiter, mal langsam, mal schnell, nur wenn der Weg vor ihnen erforscht war, darauf bedacht, nicht wieder in einen Hinterhalt zu geraten.
Der Wind war stärker geworden. Es schneite kräftig. Der Himmel trug alle Farben des Todes.
Bald würde sie dem Kind von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, und dann würde sich ihre Bestimmung erfüllen.
Teil 5 - DAS ENDE
Pestilenz, Krankheit und Krieg haben diesen Ort der Tränen heimgesucht. Und nichts dauert ewig;
dem müssen wir ins Auge sehen.
Wir verwenden viel Zeit und Energie, einander den Tod zu bringen.
Niemand ist jemals irgendwo sicher. Nicht Vater, nicht Kind, nicht Mutter.
Das Buch der gezählten Sorgen
Indem ich meine Daumen ritze, naht Böses mir.
Macbeth, William Shakespeare
Nichts betrübt Gott mehr als der Tod eines Kindes.
Dr. Tom Dooley
59
»Das ist gut«, sagte Christine. »So mag ich meinen Jungen«, als Joey Charlie zwischen den Bäumen folgte, auf eine Senke im Hang zu, etwa auf halbem Wege zum Kamm.
Sie hatte Sorge gehabt, er würde vielleicht nicht von sich aus gehen, würde einfach wie ein Zombie stehenbleiben. Aber vielleicht war er gar nicht so von der Wirklichkeit losgelöst, wie er den Eindruck machte; er redete nicht, wich ihrem Blick aus, schien vor Angst betäubt, aber offenbar befand er sich noch so weit in Einklang mit dieser Welt, daß er begriff, daß er in Bewegung bleiben mußte, um der Hexe zu entgehen.
Seine kleinen Beine waren nicht stark, und sein Skianzug behinderte ihn etwas; das Terrain war an manchen Stellen extrem steil, aber er blieb in Bewegung, hielt sich an Fels brocken und den wenigen Büschen fest, um nicht auszurutschen. Das Gehen bereitete ihm zunehmend Schwierigkeiten, und an manchen Stellen mußte er sich auf allen vieren bewegen, und Christine, die hinter ihm ging, mußte ihn oft über umgestürzte Baumstämme heben oder ihm an schlüpfrigen, mit Eis verkrusteten Felsvorsprüngen helfen. Sie konnten sich mit dem Jungen nicht so schnell bewegen, wie sie das ohne ihn gekonnt hätten, aber zumindest kamen sie noch von der Stelle. Hätten sie ihn tragen müssen, dann hätte sie das weitaus mehr behindert.
Chewbacca eilte ihnen häufig voraus, überwand die Hänge, als wäre er nicht etwa ein Hund, sondern ein Wolf und in diesen urtümlichen Regionen zu Hause. Oft blieb der Retriever über ihnen stehen und sah sich um, hechelte, hob sein Ohr, so daß sein Ausdruck beinahe ko misch wirkte. Wenn der Junge ihn sah, schien ihm das je desmal neuen Mut zu verleihen, und er gab sich dann wieder größere Mühe, so daß Christine den Eindruck gewann, sie sollte dankbar sein, daß das Tier bei ihnen war, selbst wenn seine Ähnlichkeit mit Brandy
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