Todesdämmerung
aus seinem Rucksack, stellte ihn ab und behielt nur seinen Karabiner und die Taschen voll Munition. »Jetzt muß ich wieder dort hinauf.«
Sie küßte ihn.
Joey schien gar nicht bemerken, daß er ging.
Er ging den Weg zurück, den sie gekommen waren, über den schmalen Trampelpfad, er lief nicht gerade, beeilte sich aber, weil es nach oben länger dauern würde als nach unten und er nicht viel Zeit zu vergeuden hatte.
Christine und Joey alleine im Wald zurückzulassen, fiel ihm schwerer als irgend etwas, was er bisher getan hatte.
Joey und Chewbacca warteten unter dem Felsüberhang, während Christine Holz für ein Feuer sammelte. Unter den mächtigen Zweigen lieferten die Tannen eine Menge abgestorbener Äste mit alten Zapfen und trockenen Nadeln, die sich ideal zum Anfachen des Feuers eignen würden. Sie wa ren völlig trocken, weil die darüberhängenden Zweige den Schnee aufhielten. Außerdem hatte das Gewicht dieser mit Schnee belasteten oberen Zweige das abgestorbene Holz darunter splittern lassen, so daß es ihr relativ leichtfiel, das Feuerholz, das sie brauchte, abzubrechen. Bald hatte sie einen großen Haufen aufgetürmt.
Kurz darauf hatte sie vor dem Unterschlupf, in dem sie und Joey und der Hund Zuflucht gefunden hatten, ein lo derndes Feuer entfacht. Als sie seine Wärme spürte, wurde ihr zum erstenmal bewußt, wie tief die Kälte trotz ihrer Winterkleidung in ihre Knochen eingedrungen war, und sie wußte, daß es gefährlich gewesen wäre, hier ohne Bewe gung und ohne Feuer zu warten.
Joey kauerte sich an die Felswand und starrte das Feuer ausdruckslos an, mit Augen, die wie zwei flache Ovale aus poliertem Glas aussahen, völlig leer, nur mit dem Reflex der tanzenden Flammen erfüllt.
Der Hund rollte sich ein und fing an, zuerst die eine Pfote und dann die andere zu lecken. Christine war nicht sicher, ob er sich die Pfoten nur aufgeschürft oder verletzt hatte, aber sie konnte jedenfalls erkennen, daß sie ihm etwas wehtaten, wenn er auch nicht winselte.
Rings um sie begann das Felsgestein die Hitze des Feuers aufzunehmen, und weil der Wind nicht unter den Felsvorsprung hineinreichte, wurde es schnell erstaunlich warm.
Christine saß neben Joey und zog jetzt ihre Handschuhe aus, zog den Reißverschluß einer der Taschen ihrer Isolierjacke auf und holte die Schachtel mit der Munition für die Schrotflinte heraus. Sie öffnete sie und legte sie neben die Waffe, die bereits geladen war. Das tat sie für den Fall, daß Charlie nicht mehr zurückkam, und für den Fall, daß an seiner Stelle jemand anderer kam.
60
Als Charlie die Kammhöhe wieder erreicht hatte, war er außer Atem, und ein stechender Schmerz hatte sich eingestellt, der in rhythmischen Abständen durch seine Schenkel und Waden zuckte. Sein Rücken und seine Schultern schmerzten ebenso wie sein Nacken, so als trüge er immer noch den schweren Rucksack, und er mußte immer wieder das Gewehr von einer Hand in die andere nehmen, weil die Muskeln beider Arme ebenfalls ermüdet waren und schmerzten.
Nicht, daß er schlecht in Form gewesen wäre; in Orange County, als das Leben noch normal gewesen war, war er zweimal die Woche in ein Fitneßstudio gegangen und jeden zweiten Morgen acht Kilometer weit gelaufen. Wenn er jetzt anfing, müde zu werden, wie mußte es dann um Christine und Joey bestellt sein? Selbst wenn es ihm gelang, noch ein mal zwei von Spiveys Fanatikern zu töten, wie lange würden Christine und Joey noch durchhalten?
Er versuchte die Frage aus seinem Bewußtsein zu verdrängen. Er wollte nicht darüber nachdenken, weil die Antwort wahrscheinlich alles andere als ermutigend sein würde.
Er rannte geduckt, weil der Wind, der über den Kamm blies, jetzt so heftig geworden war, daß er ihn immer wieder taumeln ließ, und überquerte das schmale Felsplateau. Es schneite jetzt so heftig, daß die Sichtweite in dieser baumlo sen Zone nur noch fünf oder sechs Meter betrug, wesentlich weniger sogar, wenn ein Wind aufkam. Er hatte nie in seinem Leben so viel Schnee gesehen; es schien, als käme er nicht einfach nur in Flocken herunter, sondern in einem kaltverschweißten Aggregatzustand, in ganzen Klumpen. Wenn er nicht genau gewußt hätte, wo er hinwollte, hätte er vielleicht die Orientierung verloren, hätte er wertvolle Zeit damit vergeudet, auf dem Kamm herumzuirren. Aber so strebte er unbeirrt auf eine Formation aus vom Wetter glattpolierten Felsbrocken auf dem Kamm zu und ließ sich dort an der Stelle, die er schon
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