Todesdämmerung
er außer Harrisons Sichtweite war — wurde Barlowe etwas weniger vorsichtig, rannte mutig zum Kamm hinauf und kroch die letzten paar Meter. Er schob sich durch eine Spalte zwischen zwei Felsformationen und richtete sich dann auf der glatten, vom Wind schneefrei gefegten Fläche des Kammes auf.
In seinem Schulterhalfter steckte eine Smith & Wesson 357er Magnum. Er zog den Reißverschluß seiner Jacke so weit auf, daß er an den Revolver herankonnte.
Es schneite so heftig, daß er höchstens fünf Meter weit sehen konnte, manchmal nicht einmal so weit. Die eingeschränkte Sicht machte ihm nichts aus, ja er betrachtete sie sogar als eine Gabe Gottes. Er kannte die Stelle bereits, von der aus Harrison auf sie gefeuert hatte; es würde ihm keine Schwierigkeiten bereiten, sie zu finden. Aber bis dahin würde der Schnee ihn vor Harrison abschirmen — falls der Detektiv immer noch auf der Kammhöhe war, was er bezweifelte.
Er bewegte sich in südlicher Richtung, direkt auf den wü tenden Wind zu. Der biß ihm ins Gesicht, machte es taub, zwang ihn, die Augen zusammenzukneifen. Seine Augen fingen zu tränen an, und seine Nase tropfte. Aber der Wind konnte ihn nicht erschüttern oder gar umwerfen; leichter hätte er einen der mächtigen Bäume gefällt.
Fünfzig Meter später fand er Pierce Morgans Leiche. Die starren, blicklosen Augen hatten nichts Menschliches mehr, denn sie waren von milchigen Katarakten überdeckt, die tatsächlich eine dünne Eisschicht waren. Seine Augenbrauen, seine Lider und sein Schnurrbart waren mit Frost überzogen und der Wind fegte eifrig immer mehr Schnee in die Winkel, die die Arme und Beine des toten Mannes bildeten.
Barlowe war überrascht, daß Harrison Morgans Uzi nicht mitgenommen hatte, eine kompakte Maschinenpistole israelischer Herkunft. Er hob sie auf und hoffte, daß sie vom Schnee nicht beschädigt war. Dann entschied er sich, sich besser nicht auf die Uzi zu verlassen, solange er nicht Gele genheit gehabt hatte, sie zu erproben, schlang sie sich über die Schulter und behielt die Magnum in der rechten Hand.
Dicht an den Granitfelsen am östlichen Gratrand entlang arbeitete er sich auf die Stelle zu, von der aus Harrison auf sie geschossen hatte und von der aus er Denny Rogers den Abhang hinuntergeworfen hatte. Die Magnum vor sich ausgestreckt, schob Barlowe sich um den Felsen herum, der die nördliche Wand von Harrisons Zufluchtsort bildete, und war nicht überrascht, daß der Detektiv nicht mehr da war.
Die Nische zwischen den Felsformationen war etwas windgeschützt; ein wenig Schnee hatte sich dort festgesetzt und war liegengeblieben. Messing glitzerte im Schnee: ein paar leergeschossene Patronenhülsen.
Barlowe entdeckte auch Blut auf den Steinen, die den Zufluchtsort umgaben: dunkle gefrorene Flecken auf grauem Granit.
Er beugte sich vor und starrte die Patronenhülsen an, die auf dem weißen Boden lagen. Er wischte die weiche, trockene Schicht weg, die in der letzten halben Stunde gefallen war, schob dabei auch die leeren Hülsen beiseite und fand auf der älteren Schneeschicht darunter wesentlich mehr Blut. Denny Rogers' Blut? Oder das Harrisons? Vielleicht hatte Rogers den Dreckskerl doch verwundet.
Er drehte sich um, trat über den schmalen Grat hinweg und fing an, die Stelle zu suchen, wo der Hirschwechsel ins nächste Tal hinunterfuhrte. Nachdem der Antichrist und seine Behüter dem Pfad so weit gefolgt waren, konnte man logischerweise annehmen, daß sie ihm auch weiter in die Tiefe folgen würden. Der frische Schnee blieb nicht auf dem vom Wind gefegten Plateau liegen, türmte sich aber gleich hinter dem Grat an Steinen und Gebüsch auf, wo der Wind nicht so heftig auftraf; er verdeckte auch den Zugang zu dem Hirschwechsel. Fast hätte Barlowe ihn verpaßt, aber dann sah er Hirschspuren und menschliche Fußstapfen in dem dünneren Schneeteppich unter den Bäumen.
Er ging den Abhang ein paar Meter hinunter, bis er das fand, was er erhofft hatte: Blutflecken. Das konnte unmöglich Denny Rogers' Blut sein. Jetzt gab es für ihn keinen Zweifel mehr: Harrison war verwundet.
64
Die Schnelligkeit und das Selbstbewußtsein , mit dem Christine die Führung übernahm, beeindruckten Charlie, verwunderten ihn aber nicht. Sie führte sie auf dem Pfad und schlug den Weg nach unten ein.
Joey und Chewbacca folgten ihnen. Der Junge sagte nichts, schlurfte mit, als fühlte er, daß sie ihre Zeit vergeudeten, indem sie zu fliehen versuchten. Aber er blieb nicht stehen, fiel
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