Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesdämmerung

Todesdämmerung

Titel: Todesdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
Seine Augen schienen aus den Höhlen hervorzu treten. Tränen glitzerten auf seinem Gesicht. Ohne Zweifel hatte ihn irgend etwas aus der Fantasiewelt herausgerissen, in die er zu fliehen versucht hatte; ohne Zweifel wurde seine große Aufmerksamkeit jetzt wieder von dieser Welt in Anspruch genommen, von der eisigen Realität.
    Charlie versuchte die Arme zu heben, denn wenn er die Arme heben konnte, würde er sich vielleicht auch aufsetzen können, und wenn er sich aufsetzen konnte, würde er vielleicht aufstehen können, und wenn er stehen konnte, konnte er auch kämpfen. Aber er konnte die Arme nicht heben, keinen Zentimeter.
    Spivey blieb stehen und blickte auf Christine herab. »Tut ihm nicht weh«, sagte Christine, der jetzt nur noch das Betteln blieb. »Um Gottes willen, tut meinem kleinen Jungen nicht weh.«
    Spivey gab keine Antwort. Vielmehr drehte sie sich zu Charlie herum und schlurfte langsam durch den Raum. In ihrem Blick mischten sich irrer Haß und Triumph.
    Charlie war von dem, was er in diesen Augen sah, entsetzt und zugleich abgestoßen, und er wandte den Blick von ihr. Er suchte verzweifelt nach irgend etwas, das sie retten konnte, nach einer Waffe, irgendeiner Maßnahme, die sie übersehen hatten.
    Plötzlich war er sicher, daß es immer noch einen Ausweg gab, daß sie doch noch nicht verloren waren. Das war nicht nur Wunschdenken und auch nicht nur ein Fiebertraum. Dazu kannte er seine eigenen Gefühle zu gut; er vertraute seinen Eingebungen, und die hier war so echt und verläßlich, wie er nur je eine gehabt hatte. Es gab noch einen Ausweg, aber wo, wie, was?
    Als Christine in Grace Spiveys Augen starrte, hatte sie das Gefühl, eine eiskalte Hand hätte in ihre Brust gegriffen und ihr Herz mit arktischem Griff erfaßt. Einen Augenblick konnte sie kein Auge bewegen, nicht schlucken, nicht atmen, nicht denken. Die alte Frau war verrückt, eine gemeingefährliche Irre, aber in ihren Augen war Macht, eine perverse Stärke, und jetzt begriff Christine, wie Spivey es fertigbrachte, Menschen zu ihren Anhängern zu machen und sie zu ihrem Kreuzzug des Wahnsinns zu bekehren. Dann wandte sich die Hexe von ihr ab, und Christine konnte wie der atmen, und aufs neue wurde ihr der brennende Schmerz in ihrem Bein bewußt.
    Spivey blieb vor Charlie stehen und starrte auf ihn hinab. Sie ignoriert Joey bewußt, dachte Christine. Er ist der Grund,
    daß sie hierhergekommen und das Risiko eingegangen ist, erschossen zu werden. Er ist der Grund, daß sie sich durch zwei Blizzards gequält hat, und jetzt ignoriert sie ihn, um den Augenblick auszukosten, ihren Triumph zu genießen.
    Christine hatte schwarzen Haß auf Spivey genährt, aber jetzt war er noch schwärzer als schwarz. Er verdrängte alles andere aus ihrem Herzen; ein paar Sekunden lang verdrängte er selbst ihre Liebe zu Joey und wurde allerfüllend, verzehrend.
    Dann wandte sich die Wahnsinnige Joey zu, und der Haß in Christine flutete zurück; miteinander kollidierende Wellen von Liebe, Schrecken, Angst und Reue wallten in ihr auf.
    Und noch etwas anderes durchflutete sie: das sichere Ge fühl, daß es noch etwas gab, womit sie Joey retten konnte, etwas, das Spivey und den Riesen in die Knie zwingen konnte, wenn sie nur fähig war klar zu denken.
    Und dann stand Grace endlich dem Jungen von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
    Sie nahm die dunkle Aura wahr, die ihn umgab und von ihm ausstrahlte, und hatte Angst, es könnte zu spät sein. Vielleicht war die Macht des Antichrist schon zu stark geworden, vielleicht war das Kind jetzt schon unverletzbar.
    Tränen standen in seinem Gesicht. Er tat immer noch, als wäre er nur ein ganz gewöhnlicher Sechsjähriger, klein und verängstigt und unfähig, sich zu verteidigen. Glaubte er wirklich, daß sie sich davon täuschen ließ, daß er die leiseste Chance hatte, so spät noch Zweifel in ihr zu wecken? Sie hatte in der Vergangenheit mehrfach Augenblicke des Zweifels gehabt, wie in jenem Motel in Soledad, aber jene Perioden der Schwäche waren nur von kurzer Dauer gewesen und lagen jetzt weit hinter ihr.
    Sie trat ein paar Schritte auf ihn zu.
    Er versuchte, sich noch weiter in die Ecke hineinzuzwängen, aber er hatte sich bereits so eng an den Felsvorsprung gepreßt, daß er fast wie ein Auswuchs des Gesteins erschien, der wie ein kleiner Junge geformt war.
    Sie blieb stehen, als sie nur noch zwei oder drei Meter vor ihm stand, und sagte: »Du wirst nicht die Gewalt über die Erde bekommen. Nicht für tausend

Weitere Kostenlose Bücher