Todesdämmerung
Angst und Verzweiflung, die schwer auf dem einen Wort lasteten, sagte Charlie: »Christine!«
Der Behälter mit der Feuerzeugflüssigkeit glitt über den Boden, weg von ihr und Charlie und Joey, und blieb in einer unzugänglichen Ecke liegen.
Sie landete auf ihrem verwundeten Schenkel und schrie auf, als eine Handgranate des Schmerzes in ihrem Bein explodierte.
Als sie zusammenbrach, entfiel ihr die Fackel und landete in der Flüssigkeitsspur. Eine Feuerwand schoß hoch, erfüllte die Höhle kurz mit blendendem Licht und sank dann wieder in sich zusammen, verlosch, verletzte niemanden.
Knurrend, die Zähne freigelegt, sprang Chewbacca den Riesen an, aber der Hund war zu schwach, um etwas ausrichten zu können. Er schlug die Zähne in den Parka, aber der Hüne hob seine Waffe mit beiden Händen und schmetterte sie dem Hund auf den Schädel. Chewbacca jaulte kurz auf und brach zu Füßen des Riesen zusammen, bewußtlos oder tot.
Christine klammerte sich an ihrem Bewußtsein fest, obwohl Wellen der Schwärze über ihr zusammenzuschlagen drohten.
Grinsend wie eine Kreatur aus einem alten Frankensteinfilm trat der Riese vor.
Christine sah, wie Joey sich in einen fernen Winkel der Höhle zurückzog.
Sie hatte versagt, ihn im Stich gelassen.
Nein! Es mußte doch irgend etwas geben, was sie tun konnte, irgend etwas, das das Blatt auf dramatische Weise wendete, etwas, das sie retten würde. Es mußte so etwas geben. Doch es wollte ihr nicht einfallen.
71
Der riesige Mann trat weiter in die Höhle hinein. Es war das Monstrum, dem Charlie in Spiveys Pfarrei begegnet war, der Riese mit dem verzerrten Gesicht. Der, den die Hexe Kyle genannt hatte.
Während er Kyle dabei zusah, wie er in die Kaverne stolzierte, und Christine sah, wie sie sich vor dem grotesken Eindringling duckte, erfüllte Charlie zu gleichen Teilen Angst und ein auf sich selbst gerichteter Abscheu. Er hatte Angst, weil er wußte, daß er in diesem einsamen feuchten Loch sterben würde, und er verabscheute sich wegen seiner Schwäche, seiner Unfähigkeit und der Tatsache, daß er versagt hatte. Seine Eltern waren schwach und unfähig gewe sen, hatten sich in den Dunst des Alkohols zurückgezogen, um sich damit zu trösten, daß sie nicht mit dem Leben fertig wurden, und Charlie hatte sich von frühester Jugend an gelobt, nie so wie sie zu werden. Er hatte ein ganzes Leben damit verbracht zu lernen, stark zu sein, immer stark. Er wich nie einer Herausforderung aus, und dies in erster Linie, weil seine Eltern immer ausgewichen waren. Er verlor selten eine Schlacht; er haßte es, zu verlieren; seine Eltern waren Verlierer, nicht er, nicht Charlie Harrison von Klemet-Harrison. Verlierer waren schwach an Körper, Geist und Mut, und Schwäche war die größte Sünde. Aber er konnte die Umstände, in denen er sich befand, nicht leugnen; es gab nicht den geringsten Zweifel daran, daß er jetzt vor Schmerz halb gelähmt war, schwach wie ein kleines Kätzchen und einzig und allein darum bemüht, bei Bewußtsein zu bleiben. Und es gab auch nichts, was ihm erlaubte, an der Wahrheit zu rütteln: Er hatte Christine und Joey an diesen Ort und in diese Lage gebracht, hatte ihnen Hilfe versprochen, und sein Versprechen hatte sich als leer und unhaltbar erwiesen. Sie brauchten ihn, und er konnte nichts für sie tun, und jetzt würde sein Leben enden, und er würde die im Stich lassen, die er liebte, und das machte ihn auch nicht viel anders als seinen Vater, den Alkoholiker, und seine sich vor Haß verzehrende, betrunkene Mutter.
Etwas in ihm wußte, daß er zu hart mit sich ins Gericht ging. Er hatte sein Bestes getan. Niemand hätte mehr tun können. Aber er war immer hart zu sich selbst gewesen und würde auch jetzt keinen anderen Maßstab anlegen. Worauf es ankam, war nicht, was er vorgehabt hatte, sondern was er geschafft hatte. Und was er geschafft hatte, war, daß er sie in den Tod geführt hatte.
Hinter Kyle trat eine zweite Gestalt aus der angrenzenden Höhle. Eine Frau. Einen Augenblick lang befand sie sich im Schatten, dann erfaßte sie der gespenstische orangerote Schein des Feuers. Grace Spivey.
Mit ungeheurer Mühe drehte Charlie seinen steifen Hals, blinzelte, um klarer sehen zu können, und blickte zu Joey hinüber. Der Junge hatte sich in die Ecke gezwängt, den Rücken zur Wand, die Hände an den Seiten, so daß die Handflächen sich gegen den Stein hinter ihm preßten, als könnte er sich mit bloßer Willenskraft in den Fels hinein verkriechen.
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