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Todesdämmerung

Todesdämmerung

Titel: Todesdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Hexen umgeht. Überlaß die Sorgen mir. Also, du warst am Telefon, und sie hat gesagt, daß sie... daß sie dich schneiden will. Was hat sie dann gesagt?«
    Der Junge runzelte die Stirn und versuchte sich zu erin nern. »Nicht viel, nur irgend etwas von einem Gericht.«
    »Gericht?«
    »Mhm. Sie hat gesagt... Gott will, daß sie ein Gericht zu mir bringt.«
    »Gericht?« fragte Charlie.
    »Mhm«, nickte der Junge. »Sie hat gesagt, Gott will, daß sie ein Gericht über mich bringt.« Er sah seine Mutter an. »Warum will Gott, daß diese alte Hexe zu mir kommt?«
    »Das will er nicht, Honey. Sie hat gelogen. Sie ist verrückt. Gott hat mit alledem gar nichts zu tun.«
    Charlie meinte mit gerunzelter Stirn: »Vielleicht im weitesten Sinne doch. Als Henry sagte, der Lieferwagen gehöre einer Druckerei, die sich Das Wahre Wort nennt, fragte ich mich, ob es vielleicht eine religiöse Druckerei wäre. >Das Wahre Wort< könnte bedeuten: die Heilige Schrift, die Bibel, heilige Worte. Vielleicht haben wir es hier mit einer religiösen Fanatikerin zu tun.«
    »Oder zwei davon«, sagte sie mit einem Blick auf das Fenster, wobei sie sich offenbar an den Mann vor dem weißen Lieferwagen erinnerte.
    Oder mehr als zwei, dachte Charlie beunruhigt. In den letzten zwei Jahrzehnten, in denen es modern geworden war, den Institutionen der Gesellschaft zu mißtrauen und sich über sie lustig zu machen, waren eine Menge religiöser Kulte entstanden, die nur darauf warteten, das Vakuum zu füllen. Einige davon waren ehrliche, ernsthafte Ableger etablierter Religionen, andere waren Schwindelorganisationen, die nur ihren Gründern dienten, um diese zu bereichern oder um ihre Predigt des Wahnsinns, der Gewalt und der Heuchelei zu verbreiten. Kalifornien war gegenüber ungewöhnlichen und kontroversen Ansichten toleranter als irgendein anderer Staat der USA, und deshalb beherbergte Kalifornien mehr Kulte, gute wie schlechte, als es irgendwoanders gab. Es wäre keineswegs überraschend, wenn aus irgendeinem verrückten Grund einer dieser Kulte angefangen hätte, nach Sündenböcken oder Opfern zu suchen, und sich dafür einen unschuldigen sechsjährigen Jungen ausgesucht hätte. Verrückt ohne Zweifel, aber nicht besonders überraschend.
    Charlie hoffte, daß das nicht die Erklärung dafür war, was den Scavellos widerfahren war. Es gab keinen gefährlicheren Feind als einen religiösen Fanatiker mit heiliger Mission.
    Und dann, als Charlie sich von Christine abwandte und wieder den Jungen ansah, geschah etwas Seltsames. Etwas Beängstigendes.
    Einen Augenblick lang schien die glatte Haut des Jungen lichtdurchlässig zu werden, fast völlig durchsichtig. Un glaublicherweise wurde der Schädel unter der Haut sichtbar. Charlie konnte hohle dunkle Augenhöhlen sehen, die ihn anstarrten. Würmer, die sich dahinter krümmten. Ein knochiges Lächeln. Gähnende schwarze Löcher, wo die Nase hätte sein sollen. Joeys Gesicht war noch da, wenn auch nur wie eine schemenhafte Fotografie, die über das Skelett kopiert war. Eine Vorahnung des Todes.
    Charlie stand erschüttert da und hustete.
    Die kurze Vision war fast ebensoschnell wieder dahin, wie sie gekommen war, schimmerte nur den Bruchteil einer Sekunde lang vor seinen Augen.
    Er sagte sich, daß das Ganze ein Produkt seiner Fantasie war, obwohl ihm noch nie so etwas widerfahren war.
    Eine eisige Schlange der Furcht ringelte sich in seinem Magen.
    Nur Fantasie. Keine Vision. Visionen gab es nicht. Charlie glaubte nicht an das Übernatürliche, an parapsychologische Phänomene oder solchen Unsinn. Er war ein vernünftiger Mann und stolz auf seine solide, verläßliche Wesensart.
    Um seine Überraschung und seine Angst zu tarnen, aber auch um das widerwärtige Bild aus seinem Bewußtsein zu verdrängen, sagte er: »Äh, also, okay, ich denke, Sie sollten dann zur Arbeit fahren, Christine. Sie sollten sich, soweit Sie das können, bemühen, sich ganz normal zu verhalten, als wäre dies ein ganz gewöhnlicher Tag. Ich weiß, daß es nicht leicht sein wird. Aber Sie müssen Ihr Geschäft weiterführen und weiterleben, während wir das für Sie in Ordnung bringen. Henry Rankin wird mitkommen. Ich habe schon mit ihm darüber gesprochen.«
    »Sie meinen, er wird als Leibwächter mitkommen?«
    »Ich weiß, daß er nicht groß ist«, sagte Charlie, »aber er ist Experte für Selbstverteidigung und trägt eine Waffe, und wenn ich unter meinen Mitarbeitern irgendeinen aussuchen sollte, um ihm mein eigenes Leben

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