Todesdämmerung
zögerte sie, Joey an sich gepreßt, schwankte, hatte die Orientierung kurz verloren. Dies war ihr eigenes Haus, ihr vertrauter als irgendein anderer Ort auf der Welt, und doch war es ihr in dieser Nacht irgendwie fremd; die Winkel, die Proportionen, das Licht in den Räumen schienen ihr falsch, anders. Der Korridor beispielsweise schien ihr unendlich lang, mit verzerrten Wänden, wie in einem Spiegelkabinett. Sie blinzelte, versuchte die Panik zurückzudrängen, die ihr Herz wie wild hämmern ließ und ihre Wahrnehmung verzerrte; sie rannte weiter, erreichte schließlich ihr Schlafzimmer.
Hinter ihr kamen von der Treppe die schnellen Schritte des Killers, der sie verfolgte und dabei das eine Bein, in das Chewbacca ihn gebissen hatte, hinter sich herzog.
Sie sprang ins Schlafzimmer, knallte die Tür hinter sich zu, schob den Riegel vor, setzte Joey ab. Ihre Tasche lag auf dem Nachttisch. Sie packte sie, als der Killer die Tür erreichte und am Knopf rüttelte. Ihre Finger waren unsicher, einen Augenblick lang brachte sie den Reißverschluß nicht auf. Dann war die Tasche offen, und sie hielt die Waffe in der Hand.
Joey war in eine Ecke gekrochen, hinter der Kommode. Er kauerte sich ganz zusammen, versuchte sich noch kleiner zu machen, als er war.
Die Schlafzimmertür bebte und löste sich dann teilweise unter einem Sturm von Rehposten auf. Ein Loch gähnte plötzlich an der rechten Seite der Tür. Eine Angel war aus dem Türstock gerissen; sie flog durch die Luft, prallte von einer Wand ab und fiel klappernd auf ihre Kommode.
Die Pistole in beiden Händen haltend und wohlwissend, daß sie sie nicht geradehielt, wirbelte Christine zur Tür herum.
Ein weiterer Schuß zerfetzte das Schloß, und die Tür schwang nach innen, hing nur mehr an einer Angel.
Der junge rothaarige Killer stand unter der Tür und sah noch verängstigter aus, als es Christine zumute war. Er stieß sinnlose Laute aus, und seine Hände zitterten. Rotz hing ihm aus der Nase, aber er schien es nicht zu bemerken.
Sie richtete die Pistole auf ihn, drückte ab.
Nichts geschah.
Die Waffe war gesichert.
Der Killer schien verblüfft, sie bewaffnet zu sehen. Seine Schrotflinte war wieder leer. Er ließ sie fallen und zog einen Revolver aus dem Hüftbund.
Sie hörte sich sagen: »Nein, nein, nein, nein, nein«, ein Ausdruck schierer Furcht, während sie nach den beiden Sicherungen der Pistole tastete. Jetzt hatte sie sie beide gelöst und drückte immer wieder ab.
Der Donner ihrer eigenen Schüsse, der dröhnend von den sie umgebenden Wänden widerhallte, war das süßeste Ge räusch, das sie je gehört hatte.
Der Eindringling ging auf die Knie, als die Kugeln sich in ihn bohrten, und fiel vornüber. Der Revolver entfiel seiner schlaffen Hand.
Joey weinte.
Christine näherte sich vorsichtig dem leblosen Körper. Blut sickerte in den Teppich. Sie stieß den Mann mit einem Fuß an. Da regte sich nichts.
Sie ging zur Tür, blickte in den finsteren Korridor hinaus, der mit den Überresten des Treppengeländers und Glassplittern von der Deckenlampe übersät war. Der Teppich war vom Blut aus der Beinwunde des toten Killers besudelt; er hatte eine Spur von der Treppe bis zu ihrem Zimmer hinterlassen.
Sie lauschte. Unten regte sich nichts, kein Laut war zu hören, keine Schritte.
Waren es nur zwei Eindringlinge gewesen?
Sie fragte sich, wie viele Kugeln sie noch hatte. Das Magazin faßte zehn. Sie glaubte, fünf Schüsse abgegeben zu haben. Fünf waren also noch übrig.
Joeys Schluchzen ließ nach. »M-Mama?«
»Seht«, machte sie.
Der Junge lauschte.
Wind. Donner. Regen auf dem Dach und gegen die Scheiben pochend.
Vier Männer tot. Die Erkenntnis brach über sie herein, und sie spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Das Haus war ein Schlachtfeld, eine Grabstätte.
Vom Wind bewegt, schabte der Ast eines Baumes am Haus.
Drinnen wurde die Totenstille noch tiefer.
Schließlich sah sie Joey an.
Er war weiß wie die Wand. Das Haar hing ihm ins Ge sicht. Seine Augen blickten verängstigt. Er hatte sich in einem Augenblick des Schreckens auf die Unterlippe gebis sen, und ein dünner Blutfaden hatte ein rotes Rinnsal über sein Kinn und den Hals gezogen. Wie jedesmal erschreckte sie der Anblick seines Blutes. Aber wenn man bedachte, was ihm beinahe passiert wäre, war die Verletzung erträglich.
Die Grabesstille entließ die Nacht aus ihrem eisigen Griff. Draußen auf der Straße waren Rufe zu hören, Rufe der Angst und der Neugierde, als die
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