Todesdämmerung
gesenkt, und bellte laut.
Ein Schuß aus einer Schrotflinte riß das Schloß aus der Haustür. Während noch die Holzsplitter durch die Luft wirbelten, platzte ein Mann ins Haus. Er kauerte sich in dem kleinen Vorraum nieder, der ins Wohnzimmer führte, die Schrotflinte vor sich ausgestreckt, die Augen geweitet, das Gesicht vor Wut oder Schrecken oder beidem weiß, ein unpassend normal aussehender Mann, klein und kräftig gebaut, mit einem dichten schwarzen Bart, in dem Regentropfen wie Perlen standen. Er sah zuerst Christine und richtete seine Waffe auf sie.
Joey schrie.
Eine harte, ohrenbetäubende Explosion erschütterte den Raum, und Christine war sicher, daß dies die letzten Millisekunden ihres Lebens waren.
Aber der Schuß traf den Eindringling. Auf seinem Hemd blühte eine häßliche rote Blume aus Blut auf.
Pete Lockburn hatte zuerst geschossen. Jetzt feuerte er erneut. Blut spritzte aus der Schulter des Eindringlings. Die Schrotflinte flog ihm aus den Händen, und er stolperte nach rückwärts. Lockburns dritter Schuß traf ihn am Hals, schleuderte ihn zu Boden. Bereits tot, wurde er auf einen kleinen Beistelltisch geworfen, sein Kopf krachte nach hin ten, traf einen Spiegel über dem Tisch, ließ ihn zerspringen, dann brach er blutüberströmt zusammen.
Als Joey sich in Christines Arme warf, schrie sie Lockburn zu: »Da ist noch ein Mann! Das Arbeitszimmer...«
Zu spät. Der Schütze, der Frank Reuther getötet hatte, war bereits im Wohnzimmer.
Lockburn wirbelte herum. Schnell, aber nicht schnell genug. Die Schrotflinte brüllte auf. Pete Lockburn wurde weggefegt.
Obwohl er nicht einmal einen Tag lang ihr Hund gewesen war, wußte Chewbacca, wem seine Loyalität gehörte. Knurrend, die Zähne freigelegt, sprang er den Mann mit der Waffe an, biß den Eindringling ins linke Bein, schlug seine Fänge tief hinein und hielt fest.
Der Mann schrie auf, hob die Schrotflinte und schmetterte den schweren Kolben auf den goldenen Kopf des Retrie vers. Der Hund jaulte und sackte zusammen.
»Nein!« sagte Joey, als wäre der Verlust eines zweiten Haustieres noch schlimmer als die Aussicht darauf, selbst hingemetzelt zu werden.
Vor Schmerz schluchzend, offensichtlich verängstigt, sagte der Mann: »Gott helfe mir, Gott helfe mir, Gott helfe mir«, und richtete seine Waffe auf Christine und Joey.
Sie sah, daß er — ähnlich dem Bärtigen — weder wahnsin nig noch böse erschien. Die Wildheit des Schreckens, der ihn erfaßt hielt, war das Ungewöhnlichste an ihm. Davon abgesehen, wirkte er ganz alltäglich. Jung. Anfang zwanzig. Etwas übergewichtig. Hellhäutig mit ein paar Sommersprossen und vom Regen durchnäßtem rötlichem Haar, das an seinem Kopf klebte. Seine Alltäglichkeit war es, die ihn so ganz besonders furchterregend wirken ließ; wenn dieser Mann unter dem Einfluß von Grace Spivey ein blindwütiger Killer werden konnte, dann war die alte Frau imstande, jeden zu korrumpieren; dann konnte man niemandem mehr vertrauen.
Er drückte ab.
Nur ein trockenes Klicken war zu hören.
Er hatte vergessen, daß beide Läufe leer waren.
Wimmernd und klagend, als wäre er derjenige, der sich in Gefahr befand, fummelte der Killer an seiner Jackentasche herum und holte zwei Patronen heraus.
Mit einer Kraft und einer Beweglichkeit, die der Schrekken in ihr wachsen ließ, schnappte sich Christine Joey und rannte — aber nicht etwa auf die Haustür zu und die Straße, die dahinterlag, denn dort draußen würden sie sicher den Tod finden, sondern zur Treppe und in ihr Schlafzimmer, wo sie ihre Tasche abgelegt hatte, die Tasche, in der sie die eigene Pistole verwahrt hatte. Joey klammerte sich verzweifelt an sie und schien überhaupt kein Gewicht zu besitzen; für kurze Zeit war sie mit übermenschlicher Kraft ausgestattet, und die Treppenstufen flogen unter ihren Füßen dahin. Dann, fast oben angelangt, stolperte sie, wäre beinahe gestürzt, klammerte sich am Geländer fest und schrie verzweifelt auf.
Aber es war gut, daß sie gestolpert war, denn in ebendie sem Augenblick eröffnete der Angreifer unten das Feuer, schoß beide Läufe auf sie ab. Zwei Ladungen Rehposten schmetterten in das Geländer, zerfetzten den eichenen Handlauf in tausend Splitter, fetzten den Verputz von der Wand, bliesen die Treppenbeleuchtung über ihr weg, und das genau an der Stelle, wo sie gewesen wäre, wäre sie nicht gestürzt.
Während der Killer nachlud, rannte Christine weiter, in den oberen Korridor. Einen Augenblick lang
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