Todesdämmerung
ausmachen, sondern nur das weiche, ineinander verschwimmende Dröhnen vie ler eindringlicher Stimmen hören konnte.
Sie versuchte zu arbeiten, konnte sich aber nicht konzentrieren. Sie nahm ein Buch aus dem Regal, einen leichten Roman, aber nicht einmal dafür reichte ihre Konzentration.
Einen Augenblick lang überlegte sie, ob sie ihre Mutter anrufen sollte. Sie brauchte eine Schulter, um sich daran auszuweinen. Aber Evelyn würde ihr den Zuspruch, den sie jetzt brauchte, nicht bieten können.
Sie wünschte, ihr Bruder wäre noch am Leben. Sie wünschte, sie könnte ihn anrufen und ihn bitten, zu ihr zu kommen. Aber Tony war für immer gegangen. Ihr Vater war auch für immer gegangen, und obwohl sie ihn kaum gekannt hatte, fehlte er ihr jetzt wie nie zuvor.
Wenn nur Charlie hier wäre...
Trotz Frank und Pete und des Mannes ohne Namen, der das Haus aus dem Campingwagen draußen im Auge hatte, fühlte sie sich schrecklich allein.
Sie starrte das Peiltelefon auf ihrem Schreibtisch an. Sie wünschte, die verrückte alte Frau würde anrufen und Joey bedrohen. Dann würden sie wenigstens genügend Beweismaterial haben, um das Interesse der Polizei wecken zu können.
Aber das Telefon klingelte nicht.
Die einzigen Geräusche waren die, die der Sturm draußen erzeugte.
Um 20 Uhr 40 kam Frank Reuther in ihr Arbeitszimmer, lächelte ihr zu und sagte: »Lassen Sie sich nicht stören. Ich mache nur meine Runde.«
Er ging ans erste Fenster, zog den Vorhang beiseite, überprüfte das Schloß, spähte eine Sekunde lang in die Dunkelheit hinaus und ließ dann den Vorhang wieder fallen.
Ebenso wie Pete Lockburn hatte Frank sein Jackett ausgezogen und die Hemdärmel hochgekrempelt. Sein Schulterhalfter hing unter seinem linken Arm. Einen Augenblick lang fing sein Revolverkolben das Licht auf und schimmert schwarz.
Ein paar Sekunden lang hatte Christine das Gefühl, als wäre sie infolge eines unerklärlichen Austausches zwischen Fantasie und Realität in einem Gangsterfilm aus den dreißiger Jahren gefangen.
Frank zog den Vorhang am zweiten Fenster zur Seite und schrie überrascht auf.
Der Schuß aus der Schrotflinte war lauter als die Armeen des Gewitters.
Das Fenster explodierte nach innen.
Christine sprang auf, als ein Regen von Glas und Blut auf sie niederging.
Ehe Frank nach seiner eigenen Waffe greifen konnte, wurde er von der Wucht des Schusses in die Höhe gerissen und nach hinten geschleudert.
Christines Stuhl fiel krachend um.
Der Leibwächter brach vor ihr über der Schreibtischplatte zusammen. Sein Gesicht war weg. Sein Schädel bestand nur noch aus Fragmenten. Die Schrotkugeln hatten ihn in eine blutige Masse verwandelt.
Draußen gab der Schütze einen zweiten Schuß ab. Verstreute Schrotkugeln fanden die Deckenlampe, pulverisierten sie, ließen einen weiteren Regen aus Glas, Mörtel und Finsternis niedergehen. Die Schreibtischlampe war bereits zu Boden geschleudert worden, als Frank Reuther über sie gefallen war. Der Raum lag jetzt in völliger Dunkelheit, sah man von dem wenigen Licht ab, das durch die offene Tür aus dem Flur hereinfiel.
Ein Windstoß packte die von Kugeln zerfetzten Vorhänge und ließ sie gegeneinanderpeitschen. Sie flatterten und wirbelten durch die Luft wie die verfaulten Kleider einer belebten Leiche in einer Geisterbahn.
Christine hörte jemanden schreien, dachte, es sei Joey, erkannte, daß es eine Frau war, und stellte dann fest, daß es ihre eigene Stimme war.
Der Regen peitschte durch die zerfetzten Vorhänge. Aber der Regen war nicht das einzige, was sich Einlaß verschaffen wollte. Der Mann, der Frank Reuther ermordet hatte, war dabei, durch das zersplitterte Fenster zu klettern.
Christine rannte.
25
In einem adrenalinheißen, angstversengten, traumgleichen Fieber mit dem drängenden und doch unheimlichen zeitlupenartigen Zeitgefühl eines Alptraumes rannte Christine aus ihrem Zimmer ins Wohnzimmer. Die kurze Strecke erforderte nur ein paar Sekunden, und doch schien es ihr, als wäre die Entfernung vom einen Ende ihres Hause zum anderen hundert Meilen und als verstrichen Stunden, während sie in Panik von einem Raum in den anderen hetzte. Sie wußte, daß sie wach war, und doch hatte sie das Gefühl m schlafen. Dies war Wirklichkeit, und doch unwirklich.
Als sie das Wohnzimmer erreichte, kamen Pete Lockburn und Joey gerade aus dem Schlafzimmer. Lockburn hielt den Revolver in der Hand.
Chewbacca kam hinter ihnen her, die Ohren an den Kopf gelegt, den Schwanz
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